Rolf Torring 121 - Der Rätsel-Gott
gefangengehaltene Professor Hunter und Pongo, der bald zurückkehren mußte: zusammen fünfundzwanzig. Alle wollten den „Rätselgott" sehen, und nur das Rolf gegebene Versprechen hielt die feindlichen Gruppen ab, einander zu bekämpfen.
Plötzlich hob sich aus dem Boden die Holzwand, die den Nebenraum vom Hauptraum trennte. Wir kannten sie ja schon durch unsere Gefangenschaft. Die Chinesen waren aufgesprungen, da sie eine Hinterlist befürchteten; ich mußte meine ganze Überredungskunst aufbieten, um sie zu veranlassen, ruhig wieder Platz zu nehmen.
Professor Kennt unterstützte mich in meinen Bemühungen nach Kräften. Ich deutete an, daß eben nur die letzten Vorbereitungen getroffen würden, damit alle Anwesenden des „Rätselgottes" ansichtig werden sollten.
Die Chinesen beruhigten sich nur langsam.
Die Zeit schlich dahin. Fast drei Stunden mußten wir noch warten, ehe die Holzwand verschwand. Der Raum, in den wir dann blicken konnten, war festlich hergerichtet.
Teppiche schmückten den Boden und lange Bänke vor dem Sockel. An den Wänden brannten jetzt statt der altertümlichen Leuchten wieder Fackeln.
Rolf und ein Weißer standen im Nebenraum und winkten uns alle zu sich. El Wing mußte mit seinen Leuten links, Tuin Kolo mit den Anhängern der Sekte des „grünen Käfers" auf der rechten Seite Platz nehmen.
Rolf machte uns mit dem weißen Herrn bekannt: es war Professor Hunter. Er sah etwas kränklich aus, aber das kam wohl nur daher, daß er lange Zeit nicht an der frischen Luft gewesen war; im übrigen machte er einen sehr rüstigen Eindruck. Er schüttelte uns allen kräftig die Hand. Seine Tochter war nirgends zu sehen.
Wir nahmen zwischen den Bänken Platz, auf die sich die beiden Gottsucher-Parteien gesetzt hatten.
Endlich traf Pongo ein. Gleich darauf senkte sich der Sockel und blieb kurze Zeit verschwunden. Dann endlich — hob sich langsam die Gestalt der Göttin mit dem engelsreinen Antlitz aus der Tiefe.
Die Chinesen sprangen auf und schauten mit verzückten Blicken das Bild der Göttin an. Dann fielen sie wie auf Kommando auf die Knie, beugten die Stirn zur Erde und verharrten in dieser Stellung.
Inzwischen war der alte Chinese, der Hüter der Gottheit, erschienen. Mir war es, als ob er jetzt fast fröhlich drein blickte. Er forderte alle auf, sich zu erheben und Platz zu nehmen.
5. Kapitel
Ein neuer Glaube
Da von den Chinesen nicht alle das Englische beherrschten, bediente sich der alte Hüter der Gottheit seiner Muttersprache. Professor Kennt übersetzte uns später die Rede in den wesentlichsten Zügen.
Er hatte gesagt, daß er seit sechzig Jahren die Göttin behüte und nun erfahren habe, daß die vor ihm Sitzenden auch ihre Lebensaufgabe darin erblickten, den „Rätselgott" zu suchen. Die Fremden erst hätten ihm die Lehre der Gottheit erklärt, die vor zweihundert Jahren auf nicht bekannte Weise nach China gekommen sei. Damals sei China von Kämpfen und Hungersnot beherrscht gewesen. Die wenigen Anhänger der Gottheit hätten geglaubt, das Bildwerk in Sicherheit bringen zu müssen, und hätten dafür die Klosterruine gewählt, die in ihrem Oberbau schon damals halb zerfallen gewesen sei. Schon seine, des alten Chinesen Vorfahren, hätten das Götterbild behütet und bewacht. Von Generation zu Generation sei das Amt vererbt worden.
Im Laufe der Jahrzehnte seien Forscher gekommen, um die Tempelruine zu besichtigen. Um sie abzuschrecken, habe er den „Spuk" der weißen Gestalt erfunden. Dadurch hätten sich viele Neugierige abhalten lassen, die Ruine genauer zu durchsuchen. Für hartnäckigere Sucher habe er die alten Einrichtungen des Klosters mit seinen Geheimnissen wieder in Ordnung gebracht.
Jetzt erst sei es den beiden Fremden gelungen, der Göttin ansichtig zu werden. Er habe die Eindringlinge eigentlich töten wollen, jedesmal aber, wenn er in das Antlitz der Göttin geschaut hätte, habe er seinen Plan nicht mehr ausführen können. Das Antlitz strahle Frieden und Güte, dazu Reinheit und Hoheit aus.
Vor ein paar Stunden erst habe der eine der beiden Weißen ihm berichtet, wer die Göttin eigentlich sei, keine Göttin in eigener Person, sondern die Mutter eines allmächtigen, unsichtbaren Gottes, der einmal auf die Erde hernieder gestiegen sei, um die Menschen zu erlösen, um die Sünden der Welt auf sich zu nehmen. Am Kreuze sei er den
Weitere Kostenlose Bücher