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Rollende Steine

Rollende Steine

Titel: Rollende Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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direkt in die Schlucht hinab. Hinter ihm knarrte Holz.
    Jemand hielt sich an seinem Bein fest.
    »Wer ist da?« fragte er leise. Lautere Worte könnten ihm mehr Gewicht
    verleihen und den Karren in die Tiefe stürzen lassen.
    »Ich bin’s. Asphalt. Wer hält sich da an meinem Fuß fest?«
    »Ich«, antwortete Klippe. »Und du, Glod? Woran du dich festhältst?«
    »An… irgend etwas, das sich zufällig in Reichweite meiner verzweifelt
    umhertastenden Hand befand.«
    Es knarrte wieder.
    »Es ist das Gold, nicht wahr?« fragte Asphalt. »Gibt’s zu. Du hältst
    dich am Gold fest.«
    »Dummer Zwerg!« rief Klippe. »Laß es los, oder wir alle sterben.«
    »Fünftausend Dollar loslassen…«, ächzte Glod. »Gibt es einen
    schlimmeren Tod?«
    »Narr! Du es nicht mitnehmen kannst ins Jenseits!«
    Asphalt suchte am Holz nach Halt. Der Karren erzitterte.
    »Das haben wir gleich«, murmelte er.
    »Übrigens…«, sagte Klippe, als sich der Wagen noch einen Zentimeter
    dem Abgrund entgegenneigte. »Wer hält Buddy?«
    »Vielleicht ist er… äh… in die Schlucht gefallen«, erwiderte Glod.
    Vier Akkorde erklangen.
    Buddy hing an einem Hinterrad, seine Füße über der Leere. Er zuckte,
    als ihm die Musik mit einem Refrain aus acht Tönen über die Seele
    strich.

    Nie altern. Nie sterben. Für immer leben, in diesem einen, von emo-
    tionalem Feuer geprägten Moment, in dem das Publikum jubelt. Wenn
    jeder Ton einem Herzschlag gleichkommt. Am Himmel brennen…
    Du wirst nie alt. Man wird nie sagen, daß du gestorben bist.
    Das ist die Übereinkunft. Du bist der berühmteste Musiker auf der
    ganzen Welt.
    Leb schnell. Stirb jung.
    Die Musik zupfte an seinem Selbst.
    Buddys Beine schwangen langsam nach oben und berührten den Fel-
    sen des Klippenrands. Mit geschlossenen Augen holte er Luft und zog
    an dem Rad.
    Eine Hand tastete nach seiner Schulter.
    »Nein!«
    Buddy öffnete die Augen.
    Er drehte den Kopf, sah in Susannes Gesicht und blickte zum Karren
    auf.
    »Was…?« brachte er undeutlich hervor.
    Eine Hand ließ los, griff nach dem Gitarrenriemen und streifte ihn un-
    beholfen von der Schulter. Die Saiten heulten, als Buddy das Musikin-
    strument am Hals packte und es in die Finsternis warf.
    Die andere Hand glitt am feuchten, kalten Rad ab. Von einem Augen-
    blick zum anderen verlor er den Halt und fiel.
    Ein weißer Schemen huschte herbei. Der junge Mann landete auf et-
    was, das sich samtweich anfühlte und nach Pferdeschweiß roch.
    Susanne stützte ihn und trieb Binky an. Das Pferd lief durch den
    Schneeregen nach oben.
    Kurz darauf erreichte es die Straße, und dort sank Buddy in den
    Schlamm. Mühsam hob er den Kopf.
    »Du?«
    »Ja«, bestätigte Susanne.
    Sie zog die Sense aus dem Halfter. Die Klinge klappte auf und schnitt
    Schneeflocken in zwei Hälften, ohne daß sich ihr Fall verlangsamte.

    »Kümmern wir uns nun um deine Freunde.«

    In der Luft gab es eine Art Reibung, als bekäme die Aufmerksamkeit der
    Welt einen neuen Fokus. Tod blickte in die Zukunft.
    OH, MIST.
    Dinge lösten sich auf, fielen ab und brachen auseinander. Der Biblio-
    thekar hatte sich al e Mühe gegeben, aber Knochen und Holz konnten
    solchen Belastungen nicht standhalten. Federn und Glasperlen lösten
    sich und landeten qualmend auf der Straße. Ein Rad trennte sich von der
    Achse, tanzte davon und verteilte Speichen, während der Apparat fast horizontal durch eine Kurve raste.
    Eigentlich machte es gar keinen Unterschied. Etwas Seelenartiges glüh-
    te und nahm die Stelle der fehlenden Teile ein.
    Wenn man eine glänzende Maschine nahm und sie beleuchtete, damit
    sie glänzte und schimmerte, wenn man dann die Maschine wegnahm, so daß nur das Licht übrigblieb…
    Nur noch der Pferdekopf erinnerte an das Gerät. Und das Hinterrad:
    Von Rauch umhül t, drehte es sich in einer Gabel aus flackerndem
    Glanz.
    Das Etwas raste an Schnapper vorbei, worauf sein Pferd ihn in den
    Graben schleuderte und vol er Panik floh.
    Tod war an schnel e Reisen gewöhnt. Rein theoretisch befand er sich
    bereits überall und wartete auf alles andere. Die schnellste Art des Rei-
    sens besteht darin, schon am Ziel zu sein.
    Nie zuvor war Tod im Langsamen so schnel gewesen. Er hatte die
    Landschaft oft nur als Schemen gesehen, doch jetzt betrug ihr Abstand
    zu seinen Knien in den Kurven nur zehn Zentimeter.

    Der Karren bewegte sich erneut. Daraufhin sah auch Klippe in die Dun-
    kelheit hinab.
    Etwas berührte ihn an der Schulter.
    HALT DICH DARAN FEST.

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