Rollende Steine
der Rattentod stehen,
drehte sich um und bedachte sie mit einem anerkennenden Blick. Erneut
hatte sie das Gefühl, einen Test bestanden zu haben.
Sie folgte der Ratte durch den Korridor und in die von Rauch erfül te
Küche. Albert beugte sich über den Herd.
»Guten Morgen«, sagte er aus reiner Angewohnheit, ohne sich dabei
auf eine bestimmte Tageszeit zu beziehen. »Möchtest du gebratenes Brot
mit Würstchen? Anschließend gibt’s Haferbrei.«
Susanne betrachtete die undefinierbare Masse in der großen Pfanne.
Ein solcher Anblick war nichts für einen leeren Magen, obwohl er sicher
einen verursachen konnte. Albert konnte in einem Ei den Wunsch wek-
ken, nie gelegt worden zu sein.
»Hast du kein Müsli?« fragte Susanne.
»Sind das besondere Würstchen?« erkundigte sich Albert argwöhnisch.
»Ich meine Nüsse und Getreideflocken.«
»Enthalten sie Fett?«
»Ich glaube nicht.«
»Wie soll man sie dann braten?«
»Müsli wird nicht gebraten.«
»Und so was nennst du Frühstück ?«
»Ein ordentliches Frühstück muß nicht unbedingt gebraten sein«, sagte
Susanne. »Haferbrei braucht nicht gebraten zu werden…«
»Wer behauptet das?«
»Wie wär’s mit einem gekochten Ei?«
»Ha, Kochen hat keinen Sinn. Es tötet nicht alle Bazillen.«
»ICH MÖCHTE EIN GEKOCHTES EI, ALBERT.«
Das Echo tanzte hin und her. Susanne fragte sich, wo diese Stimme
herkam.
Alberts Schöpfkel e fiel auf den Boden.
»Wie bitte?« brachte Susanne hervor.
»Du hast mit seiner Stimme gesprochen«, sagte Albert.
»Spar dir die Mühe mit dem Ei.« Die Stimme ließ ihren Unterkiefer schmerzen, und das besorgte Susanne mehr als Albert – immerhin war es
ihr Mund. »Ich möchte nach Hause!«
»Du bist zu Hause«, entgegnete Albert.
»Hier? Dies ist nicht mein Zuhause!«
»Tatsächlich nicht? Wie lautet die Inschrift der großen Uhr?«
»›Zu spät‹«, antwortete Susanne sofort.
»Wo stehen die Bienenstöcke?«
»Im Obstgarten.«
»Wie viele Teller haben wir?«
»Sieben…« Susanne klappte den Mund so fest wie möglich zu.
»Na bitte«, sagte Albert. »Wenigstens ein Teil von dir ist hier daheim.«
»Hör mal…« Susanne versuchte es erneut mit dem Mittel der Ver-
nunft, in der Hoffnung, daß es diesmal besser funktionierte. »Vielleicht
gibt es jemanden, der… sich um gewisse Dinge kümmert, aber ich… bin
nichts Besonderes, ich meine…«
»Ach? Und wieso kennt dich das Pferd?«
»Trotzdem bin ich ein ganz normales Mädchen…«
»Normale Mädchen bekommen keine kleine Binky-Figur zum dritten
Geburtstag!« erwiderte Albert scharf. »Dein Vater nahm sie dir weg. Das
hat den Herrn sehr geärgert. Er meinte es nur gut.«
»Ich bin als ganz normales Kind aufgewachsen. Und jetzt bin ich eine
ganz normale Jugendliche.«
»Normale Kinder bekommen ein Xylophon. Sie bitten nicht einfach
ihren Großvater darum, daß er sich sein Hemd auszieht.«
»Ich meine, ich kann doch nichts dafür. Man kann mir keine Schuld
geben. Es ist nicht fair!«
»Ach?« erwiderte Albert mürrisch. »Warum hast du das nicht gleich ge-
sagt. Das ändert alles. An deiner Stelle würde ich einfach nach draußen
gehen und dem Universum mitteilen, daß es nicht fair ist. Es antwortet
vermutlich: Oh, entschuldige bitte, daß wir dich belästigt haben. Sol
nicht wieder vorkommen.«
»Das ist Sarkasmus! So kannst du nicht mit mir reden! Du bist nur ein
Diener!«
»Stimmt. Das gilt auch für dich. Deshalb rate ich dir, mit der Arbeit zu
beginnen. Der Rattentod hilft dir. Er kümmert sich hauptsächlich um
Ratten, aber das Prinzip ist das gleiche.«
Susanne starrte den Alten mit offenem Mund an.
»Ich gehe jetzt nach draußen«, fauchte sie.
»Ich halte dich nicht auf.«
Susanne stürmte durch die Hintertür, passierte erst ein gewaltiges
Zimmer und dann den Schleifstein im Hof. Kurz darauf erreichte sie den
Garten.
»Ha!« rief sie dort.
Wenn ihr jemand gesagt hätte, daß Tod in einem Haus wohnte… Sie
hätte die betreffende Person verrückt oder gar dumm genannt. Sie stel te
sich eine Situation vor, in der man von ihr verlangte, das Heim des To-
des zu zeichnen. Sie sah sich selbst mit angemessen schwarzen Stiften
eine düstere, festungsartige Villa malen, ein Gebäude, das drohend auf-
ragte und sich durch viele gespenstische und finstere Aspekte auszeichnete.
Sie dachte an Tausende von Fenstern und viele Fledermäuse. Eine impo-
sante Residenz…
Ganz sicher hätte sie keine Hütte mit
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