Rom: Band 1
hatte.
Orlando schwieg einen Augenblick und hielt, in seine trübe Stimmung zurücksinkend, den Blick auf die Thür gerichtet; er dachte zweifellos au die unklare, peinliche Gegenwart, die von der glorreichen Vergangenheit so verschieden war. Plötzlich wandte er sich wieder zu Pierre, der noch immer wartete.
»Sie sind also im Palazzo Boccanera abgestiegen, lieber Freund! Ach, auch von dort ein solches Unglück!«
Als der Priester ihm jedoch sein Gespräch mit Benedetta, ihre Worte wiederholte, daß sie ihn noch immer liebe und nie seine Güte vergessen werde, was immer auch geschehen möge, wurde er gerührt. Seine Stimme zitterte.
»Ja, sie ist eine gute Seele, sie ist nicht schlecht. Aber was ist da zu machen? Sie liebte Luigi nicht und er war vielleicht ein bischen heftig ... Diese Dinge sind kein Geheimnis, ich kann offen mit Ihnen darüber reden, da zu meinem großen Kummer die ganze Welt sie kennt,«
Orlando gab sich seinen Erinnerungen hin; er erzählte, wie er sich vor der Hochzeit bei dem Gedanken an das wunderbare Geschöpf gefreut hatte, das seine Tochter ward, das den Stuhl des Invaliden wieder mit Jugend und Reiz umgeben würde. Er hatte stets den Kultus der Schönheit getrieben, den leidenschaftlichen Kultus eines Liebhabers, dessen einzige Liebe stets die Frau geblieben wäre, wenn nicht das Vaterland sein Bestes an sich gerissen hätte. Und Benedetta betete ihn thatsächlich an; sie verehrte ihn, stieg unablässig zu ihm hinauf, um ganze Stunden bei ihm zu verbringen, kam nicht aus dem ärmlichen kleinen Zimmer weg, das dann in dem Glanz der göttlichen Anmut erstrahlte, den sie mit sich brachte. Er lebte in ihrem frischen Atem, in dem reinen Duft und der schmeichelnden, weiblichen Zärtlichkeit, mit der sie ihn umgab, ohne Unterlaß hegte und pflegte, wieder auf. Aber gleich darauf, was für ein schreckliches Drama! Und wie hatte sein Herz geblutet, da er nicht wußte, wie er die Gatten versöhnen solle! Er konnte dem Sohne nicht unrecht geben, wenn er der anerkannte, geliebte Gatte sein wollte. Anfangs, nach der ersten unheilvollen Nacht, diesem Zusammenstoß zweier Wesen, von denen jedes auf seinem unumschränkten Recht beharrte, hatte er gehofft, Benedetta zurückzuführen, in die Arme Luigis zu treiben. Aber als sie ihm unter Thränen ihr Geständnis ablegte, ihm ihre alte Liebe zu Dario beichtete, ihm ihren ganzen, unvorhergesehenen Widerwillen gegen den Akt, gegen die Hingabe ihrer Jungfräulichkeit an einen andern Mann erzählte, da begriff er, daß sie niemals nachgeben würde. So war ein ganzes Jahr verflossen; er hatte ein Jahr ans diesem Lehnstuhl angenagelt verlebt, während unter ihm, in diesen luxuriösen Gemächern, deren Geräusche nicht einmal an sein Ohr drangen, das schmerzliche Drama vor sich ging. Wie oft hatte er versucht, zu horchen, da er Streitigkeiten befürchtete, und wie verzweifelt war er, daß er sich nicht noch nützlich erweisen konnte, indem er Glückliche machte! Von seinem Sohne, der schwieg, erfuhr er nichts; nur von Benedetta hörte er manchmal Einzelheiten, wenn eine weichere Stimmung sie wehrlos machte. Und diese Heirat, in der er einen Augenblick den lang ersehnten Bund zwischen dem alten und dem neuen Rom gesehen hatte, diese nicht vollzogene Heirat brachte ihn in Verzweiflung; sie war der Verlust aller seiner Hoffnungen, das endgültige Scheitern seines Lebenstraumes. Zuletzt wünschte er selbst die Scheidung herbei, so unerträglich wurden die Leiden einer solchen Lage.
»Ach, lieber Freund, noch nie habe ich das Verhängnis gewisser Gegensätze so gut begriffen – noch nie so gut verstanden, daß man mit dem weichsten Herzen, mit der geradesten Vernunft sich und andere unglücklich machen kann!«
Aber die Thür that sich von neuem auf, und diesmal trat ohne vorheriges Anklopfen der Graf Prada ein. Nach einer raschen Begrüßung des Besuchers, der sich erhoben halte, ergriff er die Hände seines Vaters und betastete sie ängstlich, ob sie nicht zu heiß oder zu kalt seien.
»Ich komme eben von Frascati. Ich mußte dort übernachten, diese unterbrochenen Bauten geben mir so viel zu schaffen. Man sagt mir eben, daß Sie eins schlechte Nacht gehabt haben.«
»Aber nein, ich versichere Dich –«
»O, mir reden Sie nichts ein! ... Warum beharren Sie dabei, hier zu wohnen, ohne jede Bequemlichkeit? Das gehört sich nicht mehr für Ihr Alter. Sie würden mir ein solches Vergnügen machen, wenn Sie ein bequemeres Zimmer nähmen, wo Sie besser schlafen
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