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Rom - Band II

Rom - Band II

Titel: Rom - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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begonnene Häuser waren aus Furcht, daß die Keller der Zufluchtsort aller Banditen des Landes werden konnten, mit Pfählen verrammelt. Aber das Traurigste von allem waren die jungen Ruinen, diese hohen, prächtigen, unvollendeten, nicht einmal verputzten Gebäude, die ihr Steinriesenleben noch nicht begonnen hatten und nun bereits von allen Seiten zerfielen; man hatte sie mit allerlei künstlichen Gerüsten stützen müssen, damit sie nicht auf dem Boden in Staub zerfielen. Das Herz that einem weh, wie in einer Stadt, aus der die Einwohner von einer Seuche hinweggerafft wurden; es war, als hätte hier die Pest, ein Krieg, ein Bombardement gehaust, deren Spuren diese klaffenden Gerippe noch zu bewahren schienen. Aber man wurde noch schwermütiger und von einer unendlichen menschlichen Verzweiflung ergriffen, wenn man bedachte, daß das nicht der Tod, sondern eine Fehlgeburt war, daß die Zerstörung ihr Werk thun würde, ehe die geträumten, vergeblich erwarteten Bewohner diesen tot geborenen Häusern Leben einflößen würden. Dazu kam noch eine furchtbare Ironie: an jeder Ecke befanden sich prächtige Marmortafeln mit den Namen der Straßen – berühmte, der Geschichte entliehene Namen, die der Gracchen, der Scipios, des Plinius, Pompejus, Julius Cäsars, die wie ein Hohn, wie ein Schlag, den die Vergangenheit der modernen Ohnmacht ins Gesicht gab, auf diesen unvollendeten, zusammenbrechenden Mauern leuchteten.
    Wiederum fiel Pierre die Wahrheit auf, daß jeder, der Rom besitzt, von dem Marmorwahnsinn, von dem eitlen Bedürfnis verzehrt wird, zu bauen und den künftigen Völkern sein Ruhmesdenkmal zu hinterlassen. Nach den Cäsaren, die ihre Paläste auf dem Palatin anhäuften, nach den Päpsten, die das mittelalterliche Rom wieder aufbauten und ihr Wappen darauf drückten, kommt nun die italienische Regierung, und auch sie kann nicht die Herrin der Stadt werden, ohne sofort den Wunsch zu empfinden, sie glänzender und ungeheurer denn je wieder herzustellen. Der Boden selbst suggerirte diesen Gedanken; es war das Blut des Augustus, das den zuletzt Gekommenen von neuem in den Kopf stieg und ihnen den wahnsinnigen Wunsch einflößte, aus dem dritten Rom die neue Königin der Erde zu machen. Daher stammen die Riesenpläne, die cyklopischen Quais, die einfachen Ministerien, die mit dem Kolosseum wetteifern; aus diesem Grunde sind die neuen Viertel mit den Riesenhäusern rings um die alte Stadt gleich ebenso vielen kleinen Städten in die Höhe geschossen. Pierre erinnerte sich an den kreidigen, die rötlichen, alten Dächer umgebenden Gürtel, den er vom Dome von St. Peter aus gesehen und der ihm aus der Ferne wie ein verlassener Steinbruch erschienen war; denn nicht nur auf den Prati del Castello, auch an der Porta S. Giovanni, an der Porta S. Lorenzo, bei der Villa Ludovisi, auf den Höhen des Viminal und des Esquilin stürzten bereits unvollendete und leere Viertel in dem Unkraut der verlassenen Straßen zusammen. Nach zweitausend Jahren wunderbarer Fruchtbarkeit schien nun der Boden endlich erschöpft zu sein, schien der Stein der Monumente nicht mehr sprossen zu wollen. Gleich wie in sehr alten Obstgärten neu gepflanzte Pflaumen- und Kirschbäume verkümmern und absterben, so fanden zweifellos auch die neuen Mauern keine Lebensnahrung mehr in dem von dem hundertjährigen Wachstum einer so großen Zahl von Tempeln, Zirkussen, Triumphbogen, Basiliken und Kirchen verarmten römischen Staude. Und die modernen Häuser, die man hier abermals wuchern lassen wollte, die unnützen, allzu großen, vom ererbten Ehrgeiz ganz geschwollenen Häuser hatten nicht zur Reife gelangen können; du halben, von gähnenden Fenstern durchlöcherten Fassaden, die nicht Kraft genug besessen hatten, bis zum Dache aufzusteigen, blieben unfruchtbar stehen wie trockenes Gestrüpp auf einem Acker, der zu viel getragen hat. Das schrecklich Traurige dieses Anblicks lag hauptsächlich darin, daß eine so schöpferische, vergangene Größe in einem solchen Eingeständnis gegenwärtiger Ohnmacht gipfelte, daß Rom, das einst die Welt mit seinen unzerstörbaren Monumenten bedeckt hatte, nun nichts mehr als Ruinen erzeugte.
    »Man wird sie wohl noch einmal fertig stellen!« rief Pierre.
    Narcisse sah ihn erstaunt an.
    »Für wen denn?«
    Ja, das war das Schreckliche. Ach, diese fünf- oder sechsmalhunderttausend Einwohner, von deren Kommen man geträumt hatte, die man noch immer erwartete, wo waren sie jetzt? Auf welchen nahen, flachen Landstrichen,

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