Rom - Band II
vor, um sich dort nach Gefallen zusammenzudrängen. Die Fenster wurden manchmal mit Brettern verschlossen, die Thüren mit Hilfe von Lumpen verstopft. Schreckliche Wäschestücke trockneten auf den gemeißelten Balkonen und ließen ihre unreinen Notfahnen von diesen fehlgeborenen, in ihrem Stolze gedemütigten Fassaden flattern. Eine rasche Abnützung, namenlose Besudelungen erniedrigten bereits die schönen, weißen Gebäude und bespritzten sie mit schändlichen Streifen und Flecken; durch die prächtigen Thore, die für eine königliche Ausfahrt von Equipagen geschaffen waren, stoß ein schimpflicher Bach von Abfällen und Tiermist, dessen stehende Pfützen dann auf dem trottoirlosen Fahrweg verfaulten.
Dario hatte seine Begleiter bereits zweimal denselben Weg zurückgeführt und verirrte sich immer mehr und mehr.
»Ich hätte nach links gehen müssen. Aber woher soll man das wissen? Ist das möglich in einer solchen Umgebung?«
Nun krochen ganze Banden lausiger Kinder im Staube umher. Sie waren außerordentlich schmutzig, beinahe nackt; ihr Fleisch war ganz schwarz, ihr Haar struppig wie ein Bündel Roßhaar. Frauen in schmutzigen Röcken und offen stehenden Jacken gingen umher und zeigten Brüste und Hüften, die denen überangestrengter Stuten glichen. Viele sprachen stehend mit kläffender Stimme zu einander; andere saßen, die Hände auf den Knieen, auf alten Stühlen und blieben so stundenlang sitzen, ohne etwas zu thun. Männer sah man nur wenige. Einige lagen abseits in dem rötlichen Grase und schliefen, die Nase in die Erde gedrückt, fest, mitten in der Sonne.
Aber insbesondere der Geruch wurde ekelhaft. Es war der Geruch des unreinen Elends; das menschliche Vieh gab sich seinem Schmutze hin und lebte darin. Er wurde noch verstärkt von den Ausdünstungen des kleinen Stegreifmarktes, den sie durchschreiten mußten. Während ein hungriger Trupp Kinder lüstern zuschaute, verkauften die armseligen Händler vom Boden weg verdorbene Früchte, gekochte, saure Gemüse und verschiedene, bereits gestern in geronnenem, ranzigem Fett gebratene Speisen.
»Kurz und gut, meine Liebe, ich weiß nicht mehr, wo es war,« rief der Fürst, zu seiner Base gewendet. »Sei vernünftig, wir haben genug gesehen; gehen wir zum Wagen zurück.«
Er litt thatsächlich, und wie Benedetta selbst sagte, verstand er nicht zu leiden. Er hielt es für ungeheuerlich, für ein albernes Verbrechen, sich durch einen solchen Spaziergang traurig zu stimmen. Das Leben war dazu da, um es leicht und angenehm unter dem klaren Himmel zu verleben. Man mußte es einzig und allein durch anmutige Schauspiele, durch Gesang und Tanz erheitern. In seiner naiven Selbstsucht hatte er ein wahres Grauen vor der Häßlichkeit, der Armut, dem Leiden, so daß der bloße Anblick davon ihm ein Unbehagen, eine Art körperlicher und moralischer Gliederschwere verursachte.
Aber Benedetta, die gleich ihm schauderte, wollte vor Pierre tapfer sein. Sie blickte ihn an, und da sie sah, wie lebhaft gefesselt er war, was für ein leidenschaftliches Mitleid ihn bewegte, ließ sie in ihrer Anstrengung, Teilnahme für die Armen und Unglücklichen zu zeigen, nicht nach.
»Nein, nein, mein Dario, wir müssen bleiben ... Die Herren wollen alles sehen, nicht wahr?«
»Ja, das jetzige Rom ist hier,« sagte Pierre. »Das hier erzählt einem viel mehr als alle klassischen Spaziergänge in den Ruinen und Monumenten.«
»Sie übertreiben, mein Lieber,« erklärte nun Narcisse. »Aber ich gestehe zu, daß es interessant, sehr interessant ist ... Besonders die alten Frauen – ah, die alten Frauen sind außerordentlich ausdrucksvoll!«
In diesem Augenblicke bemerkte Benedetta vor sich ein wunderbar schönes, junges Mädchen und konnte einen Aufschrei froher Bewunderung nicht unterdrücken.
»O che bellezza!«
Auch Dario hatte sie erkannt und rief mit derselben entzückten Miene:
»Eh, das ist ja die Pierina ... Sie wird uns führen.«
Das Kind ging der Gruppe bereits seit einer Weile nach, ohne daß es sich ihr zu nähern erlaubte. Ihre Augen, die freudig wie die einer liebenden Sklavin strahlten, hatten sich feurig auf den Fürsten gerichtet; dann betrachtete sie rasch die Contessina, aber ohne Zorn, mit einer Art zärtlicher Unterwürfigkeit, einer Art ergebener Zufriedenheit, daß auch sie sehr schön sei. Sie war wirklich ganz so, wie der Fürst sie geschildert hatte: groß, stark, mit einem Göttinnenhals, eine echte Antike, eine zwanzigjährige Juno mit einem etwas
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