Rom - Band II
konnte. Es war immer wieder die Geschichte von jenem Schlosser, der sich, als ihn ein Reisender rufen ließ, um sich von ihm einen Koffer, dessen Schlüssel verloren gegangen war, öffnen zu lassen, unbedingt in der Siestastunde nicht stören lassen wollte. Da so viele leere Paläste den armen Leuten offen standen, brauchte die Wohnung nicht mehr gezahlt zu werden, und man war so nüchtern und wenig heikel, daß ein paar Centesimi für das Essen genügt haben würden.
»O, Herr Abbé, unter dem Papst ging alles viel besser ... Mein Vater, der Maurer wie ich war, hat sein ganzes Leben im Vatikan gearbeitet; und ich selbst, noch heute, wenn ich ein paar Tage Arbeit haben will, finde sie immer nur dort ... Sehen Sie, wir sind durch diese zehn Jahre, wo es so viel Arbeit gab, daß man nicht von der Leiter herabkam und verdiente, was man wollte, verwohnt worden. Natürlich konnte man besser essen, sich besser kleiden und brauchte sich kein Vergnügen zu versagen; da werden einem die Entbehrungen heute noch schwerer. Aber unter dem Papst, Herr Abbé – ja, wenn Sie damals zu uns gekommen wären! Keine Steuern, alles umsonst, man brauchte wirklich nur zu leben.«
In diesem Augenblicke erhob sich von einem der Strohsäcke im Schatten der vernagelten Fenster ein Murren.
»Das ist mein Bruder Ambrogio,« fuhr der Maurer mit seiner gelassenen, friedlichen Miene fort. »Er ist nicht meiner Meinung ... Er hat es Anno 49, wie er vierzehn Jahre alt war, mit den Republikanern gehalten ... Aber das thut nichts, wir haben ihn zu uns genommen, als wir erfuhren, daß er vor Hunger und Krankheit in einem Keller umkäme.«
Die Besucher überlief nun ein Schauer des Mitleids. Ambrogio war fünfzehn Jahre älter als sein Bruder und mit kaum sechzig Jahren nur noch eine Ruine; das Fieber verzehrte ihn, und die Beine waren so abgemagert, daß er die Tage auf seinem Strohsack verbrachte, ohne je auszugehen. Er war kleiner, magerer und unruhiger als sein Bruder; einst war er Schreiner gewesen. Aber trotz seines körperlichen Verfalles hatte er noch einen ungewöhnlichen Kopf, das edle und tragische Gesicht eines Apostels und Märtyrers, umrahmt von weißem, gesträubtem Bart und Haar.
»Der Papst, der Papst,« murrte er, »ich habe nie Böses über den Papst gesprochen, aber er ist doch schuld daran, wenn die Tyrannei noch immer fortdauert. Er allein hätte uns Anno 49 die Republik geben können, und dann stände es mit uns nicht so, wie es mit uns steht.«
Er hatte Mazzini gekannt und bewahrte noch immer dessen unbestimmten Traum von einem republikanischen Papst, der endlich Freiheit und Brüderlichkeit auf Erden herrschen lassen würde. Aber später verwirrte seine Leidenschaft für Garibaldi diesen Begriff; er hielt fortan das Papsttum für unwürdig und unfähig, an der menschlichen Befreiung zu arbeiten. So kannte er sich nicht recht aus und schwankte Zwischen dem Trugbilde seiner Jugend und seiner harten Lebenserfahrung. Uebrigens hatte er stets nur unter dem Druck heftiger Erregung gehandelt und blieb bei den schönen Worten, bei ausgedehnten und unbestimmten Wünschen.
»Bruder Ambrogio,« fuhr Tomaso ruhig fort, »der Papst ist der Papst, und wer klug ist, hält es mit ihm, denn er wird immer der Papst sein, das heißt der Stärkste. Wenn morgen die Abstimmung käme, würde ich für ihn stimmen.«
Der alte Arbeiter beeilte sich nicht mit der Antwort. Die ganze bedächtige Vorsicht seiner Rasse hatte ihn ruhiger gemacht.
»Ich, Bruder Tomaso, würde dagegen stimmen, immer dagegen ... Und Du weißt gut, daß wir die Majorität haben würden. Mit dem Papst-König ist es aus. Der Borgo selbst würde sich dagegen empören ... Aber damit will ich nicht sagen, daß man sich mit ihm nicht einigen soll, damit die Religion von aller Welt respektirt wird.«
Pierre hörte ihm mit lebhaftem Interesse zu; zuletzt wagte er, ihm eine Frage zu stellen.
»Und gibt es in Rom unter dem Volke viele Sozialisten?«
Diesmal ließ die Antwort noch länger aus sich warten.
»Sozialisten, Herr Abbé? Gewiß, ein paar, aber viel weniger als in anderen Städten ... Das sind Neuheiten, bei denen die Ungeduldigen mithalten, ohne daß sie vielleicht besonders viel davon verstehen ... Wir Alten, wir waren für die Freiheit, aber wir sind nicht für Brennen und Morden.«
Er fürchtete wohl, in Gegenwart der Damen und der Herren zu viel zu sagen, und begann zu stöhnen, indem er sich auf seinem Strohsack ausstreckte. Mittlerweile nahm die von dem Geruch
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