Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rom - Band II

Rom - Band II

Titel: Rom - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
Vom Netzwerk:
etwas belästigte Contessina Abschied, nachdem sie dem Priester zugeflüstert hatte, daß es besser sei, ihr Almosen der Frau unten zu geben.
    Tomaso hatte bereits seinen Platz am Tisch wieder eingenommen und stützte das Kinn mit den Händen; dabei grüßte er seine Gäste, ohne sich aber durch ihr Weggehen mehr als durch ihr Kommen aufregen zu lassen.
    »Auf Wiedersehen! Es hat mich sehr gefreut, Ihnen dienen zu können.«
    Aber auf der Schwelle brach Narcisses Begeisterung los. Er drehte sich um, um den Kopf des alten Ambrogio noch einmal zu bewundern.
    »Mein lieber Abbé, sehen Sie nur, was für ein Meisterwerk! Das ist herrlich, das ist schön! Viel weniger banal als das Gesicht des Mädchens! ... Hier bin ich doch gewiß, daß kein geschlechtlicher Fallstrick mich in eine unsaubere Versuchung führt. Ich gerate nicht wegen niedriger Ursachen in Bewegung ... Und dann, was für eine Unendlichkeit liegt in diesen Runzeln, was für ein Geheimnis in der Tiefe dieser verblichenen Augen, in diesem gesträubten Bart und Haar! So denkt man sich einen Propheten, einen Gottvater!«
    Unten saß Giacinta noch immer mit ihrem Säugling auf den Knieen auf der halb eingebrochenen Kiste. Ein paar Schritte von ihr entfernt stand Pierina vor Dario und sah mit entzückter Miene zu, wie er seine Cigarrette fertig rauchte, während Tito, wie ein sich sonnendes Tier ins Gras gedrückt, noch immer keinen Blick von ihnen ließ.
    »Ach, Signora!« fuhr die Mutter mit ihrer ergebenen, klagenden Stimme fort; »Sie haben es jetzt gesehen; es ist kaum bewohnbar. Das einzige Gute dabei ist, daß man wirklich Platz genug hat. Andererseits herrscht ein Zug, daß man sich abends und morgens den Tod holen kann. Außerdem ängstige ich mich um die Kinder, wegen der Löcher.«
    Sie erzählte die Geschichte von einer Frau, die eines Abends, als sie aus den Treppenabsatz hinauszutreten glaubte, sich geirrt und ein Fenster für eine Thür gehalten hatte; sie stürzte auf die Straße hinab und war sofort tot. Auch ein kleines Mädchen hatte sich beide Arme gebrochen, indem es von einer geländerlosen Treppe hinabstürzte. Außerdem hätte man da drin sterben können, ohne daß jemand davon erfuhr, ohne daß es jemand einfiel, einen aufzulesen. Erst tags zuvor hatte man im Hintergrunde eines entlegenen Zimmers die Leiche eines alten Mannes gefunden, den der Hunger bereits vor etwa einer Woche erdrosselt haben mußte; er wäre sicherlich dort liegen geblieben, wenn der verpestete Geruch den Nachbarn nicht seine Anwesenheit verraten hätte.
    »Und wenn man wenigstens nur zu essen hätte,« fuhr Giacinta fort, »aber wenn man nicht ißt und daher nähren muß, so hat man keine Milch. Der Kleine da saugt mir das Blut aus! Er wird böse, will was bekommen, und ich – ich fange an zu weinen, denn es ist nicht meine Schuld, wenn er nichts kriegt.«
    Wirklich stiegen ihr Thränen in die verblichenen Augen. Plötzlich aber wurde sie zornig, als sie bemerkte, daß Tito sich noch immer wie ein Tier in der Sonne auf dem Grase wälzte; sie hielt dies für unhöflich gegen diese seinen Leute, die ihr sicherlich ein Geldgeschenk hinterlassen würden.
    »He, Tito, Nichtsthuer, kannst Du nicht aufstehen, wenn man zu Dir auf Besuch kommt?«
    Er stellte sich anfangs taub, aber zuletzt erhob er sich, doch mit sehr übellauniger Miene; Pierre interessirte er, und er bemühte sich, ihn zum Reden zu bringen, sowie er oben den Vater und Oheim ausgefragt. Er vermochte nur kurze, mißtrauische und ärgerliche Antworten aus ihm herauszuziehen. Da es keine Arbeit gab, bliebe einem nichts übrig als schlafen. Die Dinge würden sich nicht ändern, auch wenn man sich nicht aufregte. Das Beste war also zu leben, so gut es ginge, ohne sich das Leben noch mehr zu verderben. Sozialisten? Ja, vielleicht gäbe es welche, aber er kannte keine. Aus seiner schlaffen, gleichgiltigen Haltung ging deutlich hervor, daß, wenn auch der Vater für den Papst und der Oheim für die Republik war, er, der Sohn, entschieden für nichts wäre. Pierre erkannte darin das Ende eines Volkes, besser gesagt, das Schlummern eines Volkes, in dem eine Demokratie noch nicht erwacht ist.
    Als jedoch der Priester wissen wollte, wie alt er sei, in welche Schule er gegangen, in welchem Viertel er geboren sei, unterbrach ihn Tito plötzlich kurz, indem er, mit dem Finger in der Luft auf seine Brust deutend, mit ernster Stimme sagte:
    »Io son Romano di Roma!«
    In der That, war das nicht die Antwort auf alles? »Ich

Weitere Kostenlose Bücher