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Rom - Band II

Rom - Band II

Titel: Rom - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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unterworfen war. Die Brüder selbst wachten über die Ehre der Schwestern, so wie jener Tito so hart, mit wilder Sorgfalt die Pierina behütete; das geschah nicht aus irgend welcher geheimen Eifersucht, sondern um des guten Rufes, um der Familienehre willen. Und dabei herrschte keine wirkliche Religiosität, sondern eine höchst kindische Götzendienerei; alle Herzen flogen der Madonna und den Heiligen zu: sie allein existirten, sie allein flehte man an, mit Außerachtlassung Gottes, an den zu denken niemand einfiel.
    Daraus erklärte sich leicht das Stillestehen des gemeinen römischen Volkes. Jahrhunderte ermutigter Faulheit, geschmeichelter Eitelkeit, eines weichlichen Lebens lagen hinter ihm. Wenn diese Römer keine Maurer, Schreiner oder Bäcker gewesen waren, so waren sie Bediente; sie dienten den Priestern und standen mehr oder minder unmittelbar im Solde des Papsttums. Daher schieden sie sich in zwei Parteien: in die ehemaligen Carbonari, die späteren Mazzinianer und Garibaldianer, welche freilich am zahlreichsten und die Blüte von Trastevere waren, und in die Schützlinge des Vatikans, in alle, die mehr oder minder von der Kirche lebten und das Verschwinden des Papst-Königs bedauerten. Aber auf der einen wie auf der andern Seite blieb es immer bei Ansichten, von denen man sprach, ohne daß je der Gedanke entstand, eine Anstrengung zu machen, sich einer Gefahr auszusetzen. Es hätte einer jähen Leidenschaft bedurft, die die feste Vernunft der Rasse hinwegfegen und sie in einen kurzen Wahnsinnstaumel versetzt haben würde. Wozu auch? Das Elend dauerte schon so viele Jahrhunderte, der Himmel war so blau, die Siesta in den heißen Stunden mehr wert als alles. Nur eines schien erworben worden zu sein: der Patriotismus. Die Mehrheit war entschieden für die Hauptstadt Rom, für diesen wieder erworbenen Ruhm, so daß in der Leostadt beinahe ein Aufruhr entstanden wäre, als sich das Gerücht von einer Einigung zwischen Italien und dem Papst verbreitete, deren Grundlage die Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des letzteren über diese Stadt sei. Wenn das Elend dennoch größer geworden zu sein schien und der römische Arbeiter sich noch mehr beklagte, so lag dies darin, weil er bei den ungeheuren Arbeiten, die fünfzehn Jahre lang in seiner Stadt ausgeführt wurden, wirklich nichts gewonnen hatte. Vorerst hatten mehr als vierzigtausend Arbeiter Rom überschwemmt; sie kamen zumeist aus dem Norden, arbeiteten für niedrigen Lohn und waren mutiger und widerstandsfähiger. Zweitens hatte er, selbst wenn er seinen Anteil an der Arbeit erhalten, besser gelebt, ohne Ersparnisse zu machen. Als daher die Krise losbrach und die vierzigtausend Arbeiter in die Provinzen zurückgeschickt werden mußten, stand er so wie früher da – in einer toten Stadt, wo alle Werkstätten feierten und lange Zeit keine Hoffnung auf Arbeit war. So fiel er denn wieder in seine alte Lässigkeit zurück; im Grunde war er es ganz zufrieden, daß er nicht mehr von allzu viel Arbeit geplagt wurde, und hauste von neuem, so gut es ging, mit seiner alten Liebe, dem Elend, beisammen – ohne einen Groschen, aber als großer Herr.
    Pierre fiel jedoch vor allem der verschiedenartige Charakter des Pariser und des römischen Elends auf. Gewiß, der Mangel war hier noch vollständiger, die Nahrung noch unreinlicher, der Schmutz noch widerwärtiger. Warum also besaßen diese furchtbar armen Leute mehr Ungezwungenheit und wirkliche Heiterkeit? Wenn er an den Winter in Paris dachte, an die elenden Kämmerchen, die er so oft besucht hatte, wo es zum Dach hineinschneite, wo ganze brotlose Familien vor Frost klapperten, da wurde sein Herz von einem rasenden Mitleid ergriffen, wie er es auf den Prati del Castello lange nicht so lebhaft empfunden hatte. Nun endlich begriff er: das Elend in Rom war kein frierendes Elend. Ach ja, ein fortwährender Sonnenschein, ein gütiger Himmel, der aus Mitleid mit den Unglücklichen fortwährend blau blieb, war ein gar süßer und ewiger Trost! Was lag an dem Schrecken der Wohnung, wenn man im Freien schlafen und sich von dem lauen Winde streicheln lassen konnte! Was lag sogar am Hunger, wenn die Familie auf sonnigen Straßen, im trockenen Grase auf das Glück des Zufalls warten konnte! Das Klima machte nüchtern; es gab keinen Nebel, dem man mit Alkohol oder schwarzem Fleisch entgegentreten mußte. Das göttliche Nichtsthun ergötzte sich an den goldigen Abenden; die Armut wurde in dieser köstlichen Luft, wo das

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