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Rom - Band II

Rom - Band II

Titel: Rom - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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und ihn in eine zunehmende Erregung versetzte. Da man stets von einem fest verschlossenen Vatikan sprach, hatte er sich einen düsteren, von hohen Mauern umschlossenen Palast vorgestellt; niemand hatte ihm gesagt, niemand schien zu wissen, daß dieser Palast Rom beherrschte, und daß der Papst von seinem Fenster aus die Welt sah. Die Unermeßlichkeit dieser Aussicht kannte Pierre wohl, denn er hatte sie vom Gipfel des Janiculus, dann von den Loggien Raffaels und vom Dome der Basilika gesehen. Was nun Leo XIII., während er weiß und unbeweglich hinter den Scheiben stand, in dieser Minute betrachtete, das sah Pierre zu gleicher Zeit mit ihm. Leo XIII. sah im Mittelpunkte der ungeheuren, von dem Sabiner- und Albanergebirge begrenzten Wüste der Campagna die sieben berühmten Hügel: den Janiculus, der von den Bäumen der Villa Pamfili gekrönt wird; den Aventin, von dem nichts mehr übrig geblieben ist als drei vom Grün halb versteckte Kirchen; den noch vereinsamteren, von den reifen Orangen der Villa Mattei durchdufteten Coelius; den Palatin, den eine dünne, gleichsam auf dem Grabe der Cäsaren gesproßte Reihe von Cypressen begrenzte; den Esquilin, auf dem sich der dünne Glockenturm von S. Maria Maggiore erhob; den Viminal, der mit seinen wirren, kreidigen neuen Bauten einem aufgerissenen Steinbruch glich; das Kapital, das von dem viereckigen Kampanile des Senatorenpalastes kaum gekennzeichnet ward; den Quirinal, auf dem sich der Palast des Königs blendend gelb zwischen den dunklen Schatten der Gärten hinzog. Er sah außer S. Maria Maggiore alle Basiliken: S. Giovanni in Laterano, die Wiege des Papsttums, S. Paolo fuori le mura, S. Croce in Gerusallemme, S. Agnese – die Dome des II Gesu, von S. Andrea della valle, von S. Carlo, von S. Giovanni di Fiorentini und alle die vierhundert Kirchen von Rom, die die Stadt in ein mit Kreuzen bepflanztes heiliges Feld verwandeln. Er sah die berühmten Monumente, diese Zeugen der Hoffart aller Jahrhunderte: die Engelsburg, dieses in eine päpstliche Festung verwandelte Kaisergrab; dort drüben die Weiße Linie der anderen Gräber der Via Appia; dann die zerstreuten Ruinen der Thermen des Caracalla, des Hauses des Septimius Severus, der Säulen, der Portiken, der Triumphbogen; dann die Paläste und Villen der prunkliebenden Kardinäle aus der Zeit der Renaissance, den Palazzo Farnese, den Palazzo Borghese, die Villa Medici und alle, alle anderen – ein Gewimmel von Dächern und Fassaden. Vor allem sah er aber links, knapp unter seinem Fenster das abscheuliche, unvollendete Viertel auf den Prati del Castello. Wenn er am Nachmittag sich in seinen Gärten erging, die wie die Plattform einer Citadelle von der Mauer Leo IV. eingeschanzt waren, hatte er die furchtbare Aussicht auf das Thal, das man in der fieberhaften Zeit der Bauwut in den Fuß des Monte Mario gegraben hat, um dort Ziegeleien zu errichten. Die grünen Abhänge sind aufgerissen, und gelbliche Gräben laufen nach allen Seiten. Aber die nun geschlossenen Fabriken sind mit ihren hohen, toten Schornsteinen, aus denen der Rauch nicht mehr aufsteigt, nur noch klägliche Ruinen. Zu keiner Tagesstunde konnte er sich seinem Fenster nähern, ohne diese verlassenen Bauten, für die so viele Ziegelwerke gearbeitet hatten, vor Augen zu haben; diese Bauten waren gestorben, ehe sie gelebt hatten, und zu dieser Stunde war nichts mehr dort als das wimmelnde Elend von Rom, das hier wie der Kadaver alter Gesellschaften verfaulte.
    Vor allem aber bildete Pierre sich ein, daß der weiße Schatten dort oben, Leo XIII., zuletzt die ganze übrige Stadt vergaß, um seinen träumenden Blick auf den Palatin zu richten. Er ist nun entkrönt, und nur seine schwarzen Cypressen ragen in den blauen Himmel. Zweifellos baute er in Gedanken die Paläste der Cäsaren wieder auf, und vor seinem Blick erhoben sich hohe, ganz rote, mit dem Purpur bekleidete Schatten, seine Ahnen, die Kaiser und Pontifexe. Sie allein konnten ihm sagen, wie man als unumschränkter Herr der Welt über alle Völker herrscht. Dann schweiften seine Blicke hinüber zum Quirinal und vertieften sich stundenlang in den Anblick des gegenüberliegenden Königtums. Welch seltsames Zusammentreffen, daß diese beiden Paläste, der Quirinal und der Vatikan, sich anschauen, daß sie neben einander über das Rom des Mittelalters und der Renaissance emporragen, dessen von der brennenden Sonne verbrannte und vergoldete Dächer sich am Ufer des Tibers zusammendrängen und verschmelzen!

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