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Rom - Band II

Rom - Band II

Titel: Rom - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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zu, soweit die Duldsamkeit es erlaubte, und bemühte sich selbst, das Volk zu erobern, indem er sich an seine Seite gegen die gefallenen Monarchen stellte. Aber würde er je noch weiter gehen? Würde er nicht einsehen, daß er hinter der Bronzethür, im Vatikan, in der strengen, katholischen Formel eingemauert war, an die Jahrhunderte ihn ketteten? Er mußte dabei beharren; es wäre ihm einfach nicht möglich, sich auf seine wirkliche Allmacht, auf diese rein geistige Macht, diese moralische Autorität des Jenseits zu beschränken, die die Menschheit zu seinen Füßen niederwarf, die bewirkte, daß die Pilgerzüge auf die Kniee sanken und Frauen in Ohnmacht fielen. Rom aufgeben, auf die weltliche Herrschaft verzichten, hieß den Mittelpunkt der katholischen Welt verrücken. Dann wäre er nicht mehr er, das Haupt des Katholizismus, sondern ein anderer, das Haupt von etwas anderem. Was für unruhige Gedanken mußten an diesem Fenster durch seinen Geist ziehen, wenn der Abendwind manchmal das unklare Bild jenes andern, die Furcht vor der neuen, noch wirren Religion mit sich brachte, die sich in dem dumpfen Stampfen der vorwärts marschirenden Nationen vorbereitete. Und dieses Stampfen drang von allen Punkten des Horizontes zugleich an sein Ohr.
    Aber in diesem Augenblicke fühlte Pierre, daß der weiße, unbewegliche Schatten hinter den geschlossenen Scheiben vom Stolz, von der fortwährenden Siegesgewißheit aufrecht gehalten wurde. Wenn Menschenhand nicht genügte, würde ein Wunder dazu kommen. Er war fest überzeugt, daß Rom ihm wieder gehören würde; und wenn nicht ihm, seinem Nachfolger. Hatte die Kirche in ihrer unbezwingbaren Lebenskraft nicht die Ewigkeit vor sich? Und übrigens, warum nicht ihm? Vermag Gott nicht das Unmögliche? Wenn Gott wollte, würde seine Stadt ihm schon morgen durch irgend eine plötzliche Wendung der Geschichte wiedergegeben werden – allen menschlichen Einwendungen, aller scheinbaren Logik der Thatsachen zum Trotz. Ach, wie würde er die verlorene Tochter bewillkommnen, deren zweideutige Abenteuer seine thränenfeuchten Vateraugen unablässig verfolgt hatten! Wie rasch würde er die Uebertretungen vergessen, denen er achtzehn Jahre lang zu jeder Stunde und zu jeder Jahreszeit beigewohnt hatte! Vielleicht träumte er auch davon, was er mit den neuen Vierteln machen würde, mit denen man sie besudelt hatte: sollte man sie niederreißen oder als einen Beweis des Wahnwitzes der Usurpatoren stehen lassen? Sie würde wieder die erhabene, tote Stadt werden, die alle eitlen Sorgen um Reinlichkeit und materielles Behagen mißachtete und wie eine reine Seele in dem überlieferten Ruhme der vergangenen Jahrhunderte über der Welt strahlte. Und sein Traum spann sich weiter; er stellte sich vor, wie alles, zweifellos schon von morgen ab, sich gestalten würde. Alles war besser als das Haus Savoyen, selbst eine Republik. Warum nicht eine föderative Republik, die Italien nach der alten, nun abgesetzten politischen Einteilung zerstückeln, Rom ihm zurückgeben und ihn zum natürlichen Beschützer des derart wieder hergestellten Staates wählen würde? Dann flogen seine Blicke über Rom, über Italien hinaus; sein Traum erweiterte sich immer mehr und mehr, umschloß das republikanische Frankreich, Spanien, das es wieder werden konnte, sogar Oesterreich, das eines Tages gewonnen werden würde – alle katholischen Nationen, die dann die vereinigten Staaten von Europa werden und unter dem hohen Vorsitze des Pontifex Maximus friedlich und brüderlich mit einander leben würden. Und dann der höchste Triumph, wenn zuletzt alle anderen Kirchen verschwänden, alle andersgläubigen Völker zu ihm wie zu dem einzigen Hirten kämen, wenn Jesus in seiner Person über die universale Demokratie herrschte.
    Pierre wurde plötzlich in diesem Traum, den er Leo XIII. zuschrieb, unterbrochen.
    »O, mein Lieber,« sagte Narcisse, »betrachten Sie doch nur den Ton der Statuen dort auf der Kolonnade.«
    Er hatte sich eine Tasse Kaffee serviren lassen und rauchte, einzig wieder den Beschäftigungen des spitzfindigen Aesthetikers hingegeben, schmachtend eine Cigarre.
    »Sie sind rosa, nicht wahr? Und zwar von einem Rosa, das ins Malvenfarbige übergeht, als flösse das blaue Blut der Engel in ihren steinernen Adern ... Lieber Freund, was ihnen dieses überirdische Leben verleiht, das ist die römische Sonne; denn sie leben, ich habe es in gewissen schönen Zwielichtstunden gesehen, wie sie mir zulächelten und die Arme

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