Rom - Band II
Zurückhaltung, von einer so natürlichen Schamhaftigkeit gewesen, deren fast kindlicher Zauber ihrer Natur selbst zu entspringen schien. Zweifellos war unter dem Drucke der Gefahr und der Angst das schreckliche Blut der Boccanera, ein ganzer Atavismus von Heftigkeit, Hoffart, wütenden, verzweifelten und entfesselten Begierden in ihr erwacht. Sie wollte ihren Teil am Leben, ihren Teil an der Liebe, und murrte, raste, als ob der Tod, indem er ihr den Geliebten nahm, ihr das eigene Fleisch entreiße.
»Ich beschwöre Sie, Madame, beruhigen Sie sich,« wiederholte der Priester. »Er lebt, sein Herz schlägt ... Sie schaden sich entsetzlich.«
Aber sie wollte mit ihm sterben.
»O, mein Geliebter, wenn Du gehst, nimm mich mit ... Ich werde mich auf Dein Herz legen, ich werde Dich so fest in meine beiden Arme drücken, daß sie in die Deinen hineinwachsen werden, und dann müssen sie uns wohl zusammen begraben ... Ja, ja, wir werden tot und doch vermählt sein. Ich habe Dir versprochen, niemand anzugehören als Dir, ich werde Dein sein trotz allem, in der Erde, wenn es sein muß ... O, mein Geliebter, öffne die Augen, öffne den Mund, küsse mich, wenn Du nicht willst, daß auch ich sterbe, wenn Du tot sein wirst.«
Eine ganze Flamme von wilder Leidenschaft, von Feuer und Blut war durch das düstere Zimmer mit den alten, eingeschlafenen Mauern gelodert. Aber die Thränen überwältigten Benedetta; lautes Schluchzen erschöpfte sie und warf sie geblendet, kraftlos am Bettrande nieder. Glücklicherweise erschien der von Viktorine herbeigeschaffte Arzt und machte der schrecklichen Scene ein Ende.
Doktor Giordano, der das sechzigste Jahr überschritten hatte, war ein kleiner, weißlockiger, glatt rasirter und frischwangiger Greis, dessen ganze väterliche Figur inmitten seiner kirchlichen Kundschaft das Benehmen eines liebenswürdigen Prälaten angenommen hatte. Er war, wie es hieß, ein trefflicher Mann, behandelte die Armen umsonst und erwies sich vor allem in heiklen Fällen von geistlicher Zurückhaltung und Verschwiegenheit. Seit dreißig Jahren hatten sich alle Boccaneras, die Kinder, die Frauen, bis zu dem ehrwürdigsten Kardinal selbst stets nur in seinen vorsichtigen Händen befunden.
Während Viktorine leuchtete, kleidete er, von Pierre unterstützt, sachte den durch den Schmerz aus der Ohnmacht erweckten Dario aus, untersuchte die Wunde und erklärte sie sofort mit seiner lächelnden Miene für gefahrlos. Es würde nichts sein, höchstens drei Wochen im Bett, und Komplikationen stünden nicht zu befürchten. Wie alle römischen Aerzte war er ein Liebhaber der schönen Messerstiche, die er täglich unter seinen zufälligen Kunden aus dem gemeinen Volke zu behandeln hatte; er verweilte daher mit Wohlgefallen bei der Wunde, bewunderte sie als Kenner und fand zweifellos, daß das eine feine Arbeit sei. »Wir nennen das eine Warnung,« sagte er zuletzt halblaut zu dem Fürsten. »Der Mann wollte nicht töten; der Streich wurde von oben nach unten geführt, so daß er im Fleisch vorwärts glitt, ohne den Knochen auch nur zu berühren ... O, er muß geschickt sein; das ist ein sehr hübscher Stoß.«
»Ja, ja, er hat mich geschont,« murmelte Dario, »sonst hätte er mich durch und durch gestoßen.«
Benedetta hörte nichts davon. Seit der Arzt den Fall für gänzlich gefahrlos erklärt hatte, indem er aus einander setzte, daß die Schwäche und die Ohnmacht nur von der heftigen Nervenerschütterung herrührten, war sie in einem Zustande völliger Erschöpfung auf einen Stuhl gefallen. Es war die Abspannung der Frau nach dem furchtbaren Verzweiflungsanfalle. Stille Thränen begannen langsam aus ihren Augen zu fließen; sie erhob sich und umarmte Dario in einem Erguß leidenschaftlicher, stummer Freude.
»Hören Sie, lieber Doktor, es ist ganz unnötig, daß jemand davon erfährt,« fuhr dieser fort. »Diese Geschichte ist so lächerlich ... Wie es scheint, hat niemand etwas gesehen, mit Ausnahme des Herrn Abbé, den ich um Geheimhaltung bitte ... Und nicht wahr, man wird vor allem den Kardinal nicht beunruhigen, nicht einmal die Tante – kurz, keinen der Freunde des Hauses?«
Doktor Giordano lächelte ruhig.
»Schön, schön, das ist selbstverständlich, quälen Sie sich nicht ... Für alle Welt sind Sie auf der Treppe gefallen und haben sich die Schulter verrenkt ... Aber jetzt, nachdem Sie verbunden sind, trachten Sie zu schlafen und nicht allzu viel Fieber zu bekommen. Ich komme morgen früh wieder.«
Nun
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