Rom - Band II
plötzlich hatte er eine Eingebung und beschloß sofort zum Kardinal Sarno zu gehen, dessen Bekanntschaft er an den Montagabenden Donna Serafinas zuletzt gemacht hatte. Trotz seines freiwilligen Zurücktretens hielt ihn alles für eines der mächtigsten und furchtbarsten Mitglieder des heiligen Kollegiums; das hinderte seinen Neffen Narcisse jedoch nicht, zu erklären, daß er keinen Menschen kenne, der für Fragen, die seiner gewöhnlichen Beschäftigung fremd waren, stumpfer sei, als sein Oheim. Wenn er auch nicht in der Indexkongregation saß, so könnte er doch einen guten Rat geben, und vielleicht durch seinen großen Einfluß auf seine Kollegen wirken.
Pierre begab sich geradewegs in den Palast der Propaganda, wo er, wie er wußte, den Kardinal treffen mußte. Dieser Palast, dessen schwere Fassade von der Piazza di Spagna aus sichtbar ist, ist ein ungeheures, kahles und plumpes Gebäude, das einen ganzen Winkel zwischen zwei Straßen einnimmt. Pierre, dem sein schlechtes Italienisch schadete, verirrte sich darin, stieg Treppen hinan, die er wieder hinabsteigen mußte und ging durch ein wahres Labyrinth von Treppen, Gängen und Sälen. Endlich war er so glücklich, auf den Sekretär des Kardinals zu stoßen, einen jungen Priester, den er bereits im Palazzo Boccanera gesehen hatte.
»Aber gewiß, ich glaube wohl, daß Seine Eminenz Sie empfangen wollen wird. Sie thaten sehr wohl daran, um diese Stunde zu kommen, denn Seine Eminenz ist jeden Vormittag hier. Bitte, mir zu folgen.«
Nun kam von neuem eine Reise. Kardinal Sarno, der lange Zeit Sekretär der Propaganda gewesen, führte jetzt in seiner Eigenschaft als Kardinal den Vorsitz bei der Kommission, die den Kultus in den dem Katholizismus neu eroberten europäischen, afrikanischen, amerikanischen und ozeanischen Ländern organisirte. Unter diesem Titel besaß er hier ein Arbeitskabinet, Bureaux, eine ganze Administration, wo er mit der Besessenheit eines Beamten herrschte, der auf seinem Ledersessel alt geworden ist, ohne je aus dem engen Kreise seiner grünen Scharteken herausgetreten zu sein, ohne von der Welt etwas anderes zu kennen als den Anblick der Straße, deren Fußgeher und Wagen vor seinem Fenster vorüberzogen.
Am Ende eines dunklen Korridors, der auch am hellen Tage von Gashähnen beleuchtet werden mußte, ließ der Sekretär seinen Gefährten auf einem Bänkchen zurück. Nach Verlauf einer guten Viertelstunde kehrte er mit seiner diensteifrigen und liebenswürdigen Miene zurück.
»Seine Eminenz ist beschäftigt – eine Konferenz mit Missionaren, die abreisen sollen. Aber sie wird gleich zu Ende sein; er hat mir aufgetragen, Sie in sein Kabinet zu führen, wo Sie ihn erwarten sollen.«
Als Pierre in dem Kabinet allein war, betrachtete er neugierig dessen Einrichtung. Es war ein ziemlich geräumiges Zimmer, ohne jeden Luxus mit einer grünen Papiertapete ausgeschlagen und mit grünen Damastmöbeln mit schwarzem Holzgestell ausgestattet. Die beiden, auf eine schmale Seitengasse gehenden Fenster erhellten die nachgedunkelten Wände und den verblichenen Teppich mit trübem Licht; außer zwei Pfeilertischen befand sich nichts in dem Zimmer, als neben einem Fenster ein Schreibtisch, ein einfacher, schwarzer hölzerner Tisch mit abgenützter Moleskinplatte. Sie war übrigens so belastet, daß sie unter den Akten und Wischen verschwand. Einen Augenblick trat er näher und betrachtete den durch den Gebrauch eingedrückten Lehnstuhl, den ihn beschützenden Wandschirm, das alte, mit Tinte bespritzte Tintenfaß. Dann begann er in der schweren, toten Luft, die ihn bedrückte, in der großen, beunruhigenden Stille, die nur von dem gedämpften Getöse der Straße gestört wurde, ungeduldig zu werden.
Als Pierre sich aber entschloß, leise auf und ab zu gehen, stieß er auf eine an der Wand hängende Karte, deren Anblick ihn beschäftigte und derart mit den unermeßlichsten Gedanken erfüllte, daß er alles vergaß. Diese farbige Karte war die der katholischen Welt, die ganze Erde, die aufgerollte Weltkarte, auf der die verschiedenen Farben die Gebiete bezeichneten je nachdem sie dem siegreichen, unbeschränkt herrschenden oder dem noch immer im Kampf mit den Ungläubigen befindlichen Katholizismus gehörten. Die letzteren Länder waren je nach der Organisation in Vikariate oder Präfekturen in Klassen geteilt. War das nicht in bildlicher Darstellung das ganze, uralte Streben des Katholizismus nach der Weltherrschaft, die er seit der ersten Stunde
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