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Rom - Band II

Rom - Band II

Titel: Rom - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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angestrebt, die anzustreben und zu verfolgen er durch alle Zeiten hindurch nie aufgehört hat? Gott hat seiner Kirche die Welt gegeben; aber sie muß davon Besitz ergreifen, da der Irrtum noch immer beharrlich herrscht. Daher rührt der ewige Kampf, daher werden die Völker noch in unseren Tagen den feindlichen Religionen streitig gemacht, wie zur Zeit, da die Apostel Judäa verließen, um das Evangelium zu verbreiten. Während des Mittelalters bestand die große Aufgabe darin, das eroberte Europa zu organisiren; man konnte nicht einmal den Versuch zu einer Versöhnung mit den orientalischen Dissidentenkirchen machen. Dann brach die Reformation los, ein Schisma folgte dem andern – die eine protestantische Hälfte Europas und der ganze orthodoxe Orient mußten wieder erobert werden. Aber mit der Entdeckung der neuen Welt war der kriegerische Eifer wieder erwacht; Rom strebte darnach, diese zweite Hälfte der Erde in seinen Besitz zu bekommen. Missionen wurden geschaffen und gingen aus, Gott diese gestern noch unbekannten Völker zu unterwerfen; denn er hatte sie gleich den anderen Rom geschenkt. So hatte sich die große, gegenwärtige Spaltung der Christenheit von selbst gebildet: auf der einen Seite sind die katholischen Nationen, diejenigen, bei denen der Glaube bloß aufrecht erhalten werden mußte, die unumschränkt von dem im Vatikan untergebrachten Staatssekretariat geleitet werden – aus der andern Seite die schismatischen oder einfach heidnischen Nationen, die zur Wiege zurückgeführt oder bekehrt werden müssen, die die Kongregation der Propaganda zu beherrschen bemüht war. Dann mußte sich auch diese Kongregation behufs Erleichterung der Arbeit in zwei Zweige teilen: in den orientalischen, eigens mit den orientalischen Dissidentensekten betrauten, und in den lateinischen Zweig, dessen Macht sich über alle anderen Missionsländer erstreckt. Es ist ein unermeßliches Gesamtwesen erobernder Organisation, ein ungeheures Netz mit starken, dichten Maschen, das über die Welt geworfen war und keine einzige Seele entschlüpfen lassen durfte.
    Erst jetzt, vor dieser Karte, erhielt Pierre eine deutliche Vorstellung von dieser seit Jahrhunderten arbeitenden und zum Aufsaugen der Menschheit geschaffenen Maschine. Die Propaganda, von den Päpsten reich ausgestattet und über ein beträchtliches Einkommen verfügend, erschien ihm wie eine abgesonderte Macht, wie ein Papsttum im Papsttum; er begriff nun, warum den Präfekten der Kongregation der Name »roter Papst« gegeben wurde. Ueber welche unbegrenzte Macht verfügte denn nicht der Eroberer und Beherrscher, dessen Hände von einem Ende der Welt bis zum andern reichten? Der Kardinalsekretär besaß Mitteleuropa, einen so kleinen Punkt der Erdkugel; aber besaß er nicht alle übrigen, unendlichen Räume, die fernen, fast noch unbekannten Länder? Die Ziffern besagten es ja: Rom herrschte unbestritten nur über zweihundert Millionen römisch-apostolischer Katholiken, wahrend die Schismatiker, die des Orients und die der Reformation, falls man sie zusammenzählte, bereits diese Zahl überschritten. Und was für ein Sprung, wenn man die Milliarde von Ungläubigen hinzufügte, deren Bekehrung noch ausstand! Diese Ziffern machten ihn plötzlich derart betroffen, daß ein Schauer ihn durchlief. Wie, war es also wahr? Es gab gegen fünf Millionen Juden, gegen zweihundert Millionen Mohammedaner, mehr als siebenhundert Millionen Brahmanen und Buddhisten, abgesehen von den hundert Millionen anderer Heiden aller Religionen, insgesamt eine Milliarde, gegen die die Christen nicht mehr als vierhundert Millionen ausmachten! Und auch diese unter sich gespalten, im fortwährenden Kampf befindlich – eine Hälfte mit Rom, die andere Hälfte gegen Rom! War es möglich, daß Christus in achtzehn Jahrhunderten nicht einmal ein Drittel der Menschheit erobert hatte, und daß Rom, das ewige, das allmächtige Rom nur den sechsten Teil der Völker als unterworfen berechnete? Unter sechs Seelen eine einzige gerettet – welch erschreckendes Verhältnis! Aber die Karte sprach die ungeschliffene Wahrheit: das mit rot bezeichnete Reich Roms war nur ein verlorener Punkt, wenn man es mit dem mit gelb bezeichneten Reiche der anderen Götter, den endlosen Gebieten verglich, die die Propaganda noch zu unterwerfen hatte, Die Frage war nun: wie vieler Jahrhunderte bedurfte es noch, damit die Verheißung Christi erfüllt, die gesamte Erde seinem Gesetz unterworfen, und die religiöse Gesellschaft die

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