Rom - Band II
des Olymp ist, Pierre hatte sich auch für die Kirchen der armen Viertel, für S. Onofrio, S, Cecilia, S. Maria in Trastevere interessirt, ohne in ihnen die erhoffte lebhafte Gläubigkeit, die erhoffte Volksflut zu finden. Eines Nachmittags hörte er in der letzten, vollständig leeren Kirche die Sänger mit lauter Stimme einen klagenden Choral inmitten dieser Einöde singen. Ein andermal, als er in S. Crisogono eintrat, fand er die Kirche, zweifellos für ein am nächsten Tage stattfindendes Fest, ganz bekleidet: die Säulen mit Ueberzügen aus rotem Damast, die Portiken mit abwechselnd gelben und blauen, weißen und roten Behängen und Vorhängen. Er floh vor diesem schrecklichen Schmuck, diesem Jahrmarktsflitter. Ach, wie weit ab war er von den Kathedralen, wo er in seiner Kindheit geglaubt und gebetet hatte! Ueberall fand er dieselbe Kirche, die einstige antike Basilika wieder, die von Bernini oder seinen Schülern dem Geschmack des Rom des vorigen Jahrhunderts angepaßt worden war. In der Kirche S. Luigi de Francesi, die einen bessern, nüchterneleganten Stil besitzt, wurde er nur durch die großen Toten, die Helden und Heiligen bewegt, die in fremder Erde unter den Fliesen schliefen. Da er Gotik suchte, besichtigte er zuletzt S. Maria sopra Minerva; diese Kirche war, wie man ihm sagte, das einzige Muster gotischen Stiles in Rom, Aber diese mit Marmor bedeckten Halbsäulen, diese Spitzbogen, die sich nicht aufzuschwingen wagen und mitten im Bogen ersticken, diese sich windenden, zur schweren Majestät eines Domes verdammten Gewölbe bildeten für ihn eine letzte Enttäuschung Nein, nein! Der Glaube, dessen warme Asche hier noch lag, war nicht mehr derselbe, dessen Glut die gesamte Christenheit aus der Ferne ergriffen und verbrannt hatte. Monsignore Fornaro, mit dem der Zufall ihn gerade beim Verlassen von S. Maria sopra Minerva zusammenführte, stand gegen die Gotik auf, die er die reine Häresie nannte. Die erste christliche Kirche war die aus dem Tempel entstandene Basilika; es war eine Lästerung, wenn man die wirtliche, christliche Kirche in der gotischen Kathedrale erblickte, denn die Gotik war nur der verabscheuungswürdige angelsächsische Geist, der aufrührerische lutheranische Genius. Pierre wollte dem Prälaten mit Leidenschaft entgegnen; aber dann schwieg er, aus Furcht zu viel zu sagen. In der That, war das nicht der entscheidende Beweis dafür, daß der Katholizismus die Frucht des römischen Bodens selbst, das von Christentum umgewandelte Heidentum war? Anderwärts ist dieses Christentum in einem verschiedenen Geiste aufgeschossen, so daß es sich empört und am Tage des Schisma gegen die Mutterstadt gewendet hat. Die Seitenwendung setzte sich fort, indem sie sich immer mehr ausbreitete und in der Evolution der neuen Gesellschaften Prägen sich heutzutage, trotz der verzweifelten Anstrengungen, Einigung zu erzielen, die Unähnlichkeiten immer mehr und mehr aus, so daß das Schisma abermals unvermeidlich und nahe erschien. Er, das einst fromme und empfindsame Kind, bewahrte den Basiliken noch einen andern Groll: es fehlten ihnen die Glocken, die schönen großen Glocken, die den Einfältigen so lieb sind. Glocken brauchen Glockentürme und in Rom gibt es keine Glockentürme – nichts als Dome. Entschieden, Rom war nicht die klingende, glockenläutende Stadt Jesu, aus der das Gebet in tiefen Klangwogen zwischen den wirbelnden Schwärmen der Krähen und Schwalben aufstieg.
Trotzdem setzte Pierre, von einer dumpfen Gereiztheit ergriffen, die ihn hartnäckig machte, seine Gänge fort; er fing wieder an. Besuche zu machen und hielt das Wort, das er sich gegeben hatte, trotz aller Wunden jeden einzelnen Kardinal der Indexkongregation aufzusuchen. Nach und nach geriet er auch in die anderen Kongregationen, diese Ministerien der einstigen, päpstlichen Regierung, die heutzutage minder zahlreich sind, aber noch immer ein außerordentliches komplizirtes Räderwerk besitzen; eine jede hat einen Kardinal zum Präfekten, Kardinäle zu Mitgliedern, die Versammlungen abhalten, Ratsprälaten, eine ganze Welt von Beamten. Er mußte mehrmals in die Cancellaria gehen, in der sich die Indexkongregation befindet und verirrte sich in der ungeheuren Menge von Treppen, Gängen und Sälen; gleich beim Portikus des Hofes ergriff ihn der eisige Schauer der alten Mauern und er vermochte es nicht, diesen Palast, das Meisterwerk Bramantes, den reinen Typus der römischen Renaissance, der eine so kahle und kalte Schönheit
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