Rom - Band II
Sie zu ihm, gehen Sie zu ihm. Ich wiederhole, es bleibt Ihnen nichts anderes übrig.«
Er gab nach. In der That, wozu sollte er sich widersetzen? Abgesehen von der Leidenschaft feuriger Nächstenliebe, die ihn zur Verteidigung seines Buches hierhergeführt hatte, befand er sich doch auch zu Experimentszwecken in Rom. Er mußte bis ans Ende der Versuche gehen.
Am nächsten Tage fand er sich allzu zeitlich unter der Kolonnade von S. Peter ein, und mußte dort längere Zeit wartend verweilen. Noch nie hatte er die Ungeheuerlichkeit dieser vier Säulenreihen, dieses Waldes gigantischer Steinstämme, wo übrigens niemand sich ergeht, stärker empfunden. Es ist eine großartige, düstere Wüste. Man fragt sich, wozu ein so majestätischer Portikus gehört? Zweifellos bloß für die Majestät, für den Pomp der Ausschmückung; und darin liegt wieder einmal ganz Rom. Dann ging er durch die Via del S. Offizzio, und gelangte zu dem hinter der Sakristei gelegenen Palazzo del S. Offizzio. Es ist ein einsames Viertel, dessen Stille der Schritt eines Fußgängers, das Rollen eines Wagens nur selten, von Zeit zu Zeit stört. Das einzig Lebendige ist die Sonne, die ihre trägen Strahlen auf das weiß gewordene kleine Pflaster sendet. Man spürt die Nachbarschaft der Basilika, Weihrauchduft, klösterlichen Frieden im Schlummer der Jahrhunderte. In einer Ecke steht der Palast des S. Offizzio. Er ist von drückender und beunruhigender Kahlheit; die eine hohe, gelbe Fassade wird nur von einer einzigen Fensterreihe durchbrochen, während die auf die Seitengasse gehende andere Fassade mit ihrer Reihe von schmäleren Fenstern – Guckfensterchen mit undurchsichtigen Scheiben – noch verdächtiger aussieht. Dieser gewaltige, kotfarbene, gegen Außen fast fensterlose und gleich einem Kerker abgeschlossene und geheimnisvolle Würfel von Mauerwerk schien in dem blendenden Sonnenlicht zu schlafen.
Pierre überlief ein Schauder, über den er dann wie über eine Kinderei lächelte. Die heilige, römische Inquisition, die heilige Kongregation des S. Offizzio, wie sie heutzutage genannt wurde, war nicht mehr die, von der die Legende erzählte – die Lieferantin der Scheiterhaufen, das geheime Gericht, gegen das es keine Berufung gab, das das Recht der Todesstrafe über die gesamte Menschheit besaß. Dennoch bewahrte sie noch immer das Geheimnis ihrer Aufgabe, versammelte sich jeden Mittwoch, urteilte und verdammte, ohne daß das geringste, nicht einmal ein Hauch über die Mauern drang. Aber wenn sie auch fortfuhr, das Verbrechen der Häresie zu strafen, wenn sie sich nicht bloß an Werke hielt, sondern auch Menschen strafte, so besaß sie doch keine Waffen mehr – weder Kerker, noch Schwert, noch Feuer; sie war auf das Protestiren beschränkt und konnte nicht einmal den Ihrigen, den Geistlichen, andere als Disziplinarstrafen auferlegen.
Als er eingetreten und in den Salon Monsignore Nanis geführt worden war, der als Assessor in diesem Palaste wohnte, empfand Pierre eine frohe Ueberraschung. Das Zimmer war sehr groß, gegen Süden gelegen, von hellem Sonnenlicht überflutet und trotz der steifen Möbel, der düstern Farbe der Tapeten herrschte darin eine köstliche Zartheit. Es war als hätte eine Frau darin gewohnt, die das Wunder vollbrachte, den strengen Dingen ihre Anmut mitzuteilen. Es gab keine Blumen in dem Zimmer und doch roch es gut. Ein Zauber ergriff die Herzen gleich von der Schwelle aus.
Monsignore Nani, mit seinem rosigen Gesicht, den blauen, so lebhaften Augen, dem feinen blonden, vom Alter bepuderten Haar, war ihm sofort lächelnd entgegen gegangen und rief, ihm beide Hände entgegenstreckend:
»O, mein lieber Sohn, wie liebenswürdig von Ihnen, mich zu besuchen ... Kommen Sie, setzen Sie sich. Plaudern wir wie ein paar Freunde.«
Und ohne zu warten fragte er mit dem Ausdruck außerordentlicher Zuneigung:
»Wie stehen Sie? Erzählen Sie, sagen Sie mir alles, was Sie gethan haben.«
Pierre, trotz der Mitteilungen Don Vigilios von der Teilnahme, die er zu fühlen glaubte, gerührt und gewonnen, beichtete, ohne etwas auszulassen. Er erzählte seine Besuche beim Kardinal Sarno, bei Monsignore Fornaro, beim Pater Dangelis, berichtete, welche Schritte er bei den einflußreichen Kardinälen, bei allen Kardinälen des Index, beim Großpönitentiarius, beim Kardinalvikar, beim Kardinalsekretär unternommen hatte, schilderte seine endlosen Laufereien von Thür zu Thür, durch den ganzen römischen Klerus, durch alle
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