Rom - Band II
von der Zerstörung bedroht erschien, so verhielt er sich ebenso skeptisch gegen die Macht der Freimaurerei. Er hatte Fragen gethan und eine Untersuchung angestellt, um sich von der Wahrheit dieser Macht in der Stadt Rom, wo die beiden höchsten Mächte einander gegenüber standen, wo der Großmeister dem Papste gegenüber thronte, Rechenschaft zu geben. Man hatte ihm wohl erzählt, daß die letzten römischen Fürsten sich genötigt glaubten, Freimaurer zu werden, um sich das Leben nicht gar zu erschweren, ihre Lage zu verschlimmern und die Zukunft ihrer Söhne zu verrammeln. Aber gaben sie nicht einzig und allein der unwiderstehlichen Gewalt der gegenwärtigen sozialen Evolution nach? Würde die Freimaurerei nicht ebenfalls in ihrem eigenen Triumph, dem Triumph der Ideen der Gerechtigkeit, Vernunft und Wahrheit untergehen, den sie so lange inmitten der Finsternis und Gewaltthaten der Geschichte verteidigt hatte? Es ist eine feststehende Thatsache, daß der Sieg einer Idee die sie verbreitende Sekte tötet und den Apparat, mit dem die Sektirer sich umgeben mußten, um die Einbildungskraft gefangen zu nehmen, nutzlos und ein wenig wunderlich macht. Das Carbonaritum hat niemals den Sieg der von ihm geforderten politischen Ideen überlebt, und an dem Tage, an dem die katholische Kirche, nachdem sie ihr zivilisatorisches Werk gethan, zusammenbrechen wird, wird auch die freimaurerische Kirche von gegenüber verschwinden. Ihr Befreiungswerk wird vollbracht sein. Heutzutage wäre die berühmte Allmacht der Logen ein armseliges, ebenfalls von Überlieferungen gehemmtes, von einem lächerlichen Zeremoniell verdorbenes Eroberungswerkzeug, nichts mehr als ein Band gegenseitiger Verständigung und Hilfe, wenn nicht der starke Hauch der Wissenschaft die Völker hinrisse, und bei der Zerstörung der gealterten Religionen mithelfen würde.
Pierre, von so vielen Gängen und Laufereien erschöpft, bekam nun, trotzdem er wie der Krieger einer Hoffnung, die an Niederlage nicht glauben will, den hartnäckigen Vorsatz hatte, Rom nicht zu verlassen, ohne gänzlich geschlagen zu sein, wieder Angst. Er hatte alle Kardinäle besucht, deren Einfluß ihm von einigem Nutzen sein konnte. Er hatte den mit der Diözese Rom betrauten Kardinal-Vikar gesehen; das war ein Gelehrter, der mit ihm über Horaz sprach, ein etwas wirrer Politiker, der ihn über Frankreich, über die Republik, das Kriegs- und Marinebudget auszufragen begann, ohne sich im geringsten von der Welt um das angeklagte Buch zu kümmern. Er hatte den Groß-Pönitentiarius besucht, den er bereits im Palazzo Boccanera bemerkt hatte; das war ein magerer Greis mit einem fleischlosen Asketengesicht, aus dem er nichts herauszulocken vermochte, als eine lange, tadelnde Rede und strenge Worte gegen die jungen, vom Jahrhundert verdorbenen Priester, die Verfasser verdammungswürdiger Werke. Zuletzt hatte er im Vatikan den Kardinalsekretär aufgesucht; das war gewissermaßen der Minister des Auswärtigen Seiner Heiligkeit, die große Macht des heiligen Stuhles, von dem man ihn bisher ferngehalten hatte, indem man ihn mit den Folgen eines unglücklich ausfallenden Besuches einschüchterte. Er hatte sich seines späten Kommens wegen entschuldigt und den liebenswürdigsten Menschen von der Welt vorgefunden, der durch ein diplomatisches Wohlwollen seine etwas rauhe Außenseite milderte, ihn niedersetzen ließ, mit interessirter Miene ausfragte, anhörte und sogar tröstete. Als er aber wieder auf dem Petersplatz angelangt war, hatte er wohl begriffen, daß seine Angelegenheit auch nicht mit einem Schritt vorwärts gekommen sei und daß, wenn es ihm eines Tages gelänge, den Zutritt zum Papste zu erzwingen, der Weg nicht durch das Staatssekretariat gehen würde. An diesem Abend kehrte er verstört, überreizt, durch die vielen Besuche bei so vielen Leuten zerbrochen in die Via Giulia zurück und war, weil er das Gefühl hatte, gänzlich von dieser Maschine mit den hundert Rädern ergriffen zu werden, so außer sich, daß er sich mit Entsetzen fragte, was er am nächsten Tage thun würde – denn es blieb ihm nichts übrig als verrückt zu werden.
Gerade in diesem Moment begegnete er in einem Korridor Don Vigilio und wollte ihn abermals befragen, einen guten Rat von ihm verlangen. Aber dieser brachte ihn mit einer unruhigen Geberde zum Schweigen, ohne daß er wußte, warum. Er machte wieder seine entsetzten Augen, dann hauchte er ihm ins Ohr:
»Waren Sie bei Monsignore Nani? ... Nun, dann gehen
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