Rom - Band III
dahin gelangt war, ihre Ehe annulliren zu lassen? Dann wurde sie wieder von einer Anwandlung toller Freude ergriffen.
»Sagen Sie, lieber Freund – nicht wahr, das Glück allein ist etwas Gutes? ... Heute verlangen Sie von mir keine Thränen, selbst nicht für die Armen, die leiden, die frieren und hungern ... Ach, das kommt daher, weil es wirklich nur das Glück des Lebens gibt! Das heilt alles. Man leidet nicht, man friert nicht, man hungert nicht, wenn man glücklich ist!«
In der Ueberraschung, die diese seltsame Lösung der furchtbaren Frage des Elends ihm verursachte, sah er sie verblüfft an. Plötzlich fühlte er, daß bei dieser Tochter eines schönen Himmels, die den Atavismus so vieler Jahrhunderte souveräner Aristokratie in sich hatte, seine ganze Apostelarbeit vergeblich war. Er hatte sie im Christentum unterrichten, zur christlichen Liebe zu den Einfältigen und Elenden zurückführen, für das neue Italien erobern wollen, von dem er träumte – ein Italien, das auf die neuen Zeiten bedacht, von Mitleid für die Dinge und die Wesen erfüllt wäre. Aber siehe, wenn sie auch in den Stunden, da sie selbst litt, da ihr Herz aus den grausamsten Wunden blutete, mit ihm über die Leiden des niedrigen Volkes geweint hatte, so feierte sie, das Kind brennender Sommer und frühlinggleicher Winter, gleich nach ihrer Genesung das Glück der Welt!
»Aber alle sind nicht glücklich!« sagte er.
»O ja, ja!« rief sie. »Sie sind es, der die Armen nicht kennt! ... Man gebe nur einem Mädchen aus unserm Trastevere den jungen Mann, den sie liebt, und sie strahlt ebenso wie eine Königin und ißt abends ihr trockenes Brot, und findet es von köstlichster Süße. Die Mütter, die ein Kind aus einer Krankheit retten, die Männer, die in einer Schlacht siegen oder auch ihre Nummern in der Lotterie herauskommen sehen – alle sind so, alle verlangen nur Glück und Vergnügen ... Gehen Sie mir, Sie mögen sich bemühen, gerecht zu sein und das Glück besser zu verteilen, wie Sie wollen – zufrieden werden stets doch nur die sein, deren Herz, oft selbst ohne zu wissen, warum, an einem so schönen, sonnigen Tage wie heute singt!«
Er machte eine Geberde der Ergebung, denn er wollte sie nicht betrüben, indem er von neuem die Sache der armen Wesen verfocht, die in dieser selben Minute irgendwo in der Ferne den Todeskampf kämpften, dem körperlichen oder moralischen Schmerz erlagen. Aber plötzlich glitt durch die so leuchtende und milde Luft ein Schatten; er empfand die unendliche Trauer der Freude, die grenzenlose Verzweiflung der Sonne, als ob jemand, der nicht sichtbar war, diesen Schatten geworfen hätte. War es der zu starke Duft des Lorbeers, der bittere Geruch der Orangen und der Tobirabüsche, der ihm diesen Schwindel verursachte? War es der Schauer sinnlicher Wärme, die seine Adern unter diesen Ruinen in diesem Winkel voll uralter Leidenschaft klopfen machte? Oder erweckte nicht eher dieser Sarkophag mit seinem wütenden Bacchanal die Gedanken an den nahen Tod, selbst inmitten der dunklen Wollust der Liebe, unter dem ungesättigten Kuß der Liebenden? Einen Augenblick erschien ihm das helle Lied der Fontäne wie ein langes Schluchzen und es war ihm, als verschwinde alles in diesem plötzlichen, furchtbaren Schatten des Unsichtbaren.
Aber schon hatte Benedetta seine beiden Hände ergriffen und erweckte ihn zu dem bezaubernden Bewußtsein, hier, in ihrer Nähe zu sein.
»Die Schülerin ist recht ungefügig, nicht wahr, lieber Freund? Sie hat einen recht harten Schädel. Aber was wollen Sie, es gibt Ideen, die nicht in unsern Kopf hineinwollen. Nein, solche Sachen werden Sie in den Kopf einer Tochter Roms nie hineinbringen ... Lieben Sie uns also, begnügen Sie sich damit, uns so zu lieben, wie wir sind – schön aus ganzer Kraft, soviel wir können!«
Und sie war in dieser Minute, in dem Glanz ihrer Schönheit so schön, daß er davor erzitterte, wie vor einem Gott, vor der Allmacht, die die Welt führt.
»Ja, ja,« stammelte er, »die Schönheit, die Schönheit – sie ist noch immer die Herrscherin, wird immer die Herrscherin sein ... Ach, warum kann sie nicht genügen, um den ewigen Hunger der armen Menschen zu stillen!«
»Pah, pah, das Leben selbst ist schön!« rief sie freudig. »Gehen wir hinauf, meine Tante muß uns zum Diner erwarten.«
Das Diner fand um ein Uhr statt. In den seltenen Fällen, da Pierre nicht außer Hause speiste, stand sein Gedeck auf dem Tische der Damen in dem kleinen, auf
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