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Rom - Band III

Rom - Band III

Titel: Rom - Band III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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viele ungerechte und ungeheuerliche Leiden gesehen, machte ihn derart rasend, daß er bei jedem Schritt fürchtete, in Thränen ausbrechen und die Arme zu dem schwarzen Himmel erheben zu müssen.
    Da ging er, um sich ein wenig zu beruhigen, langsam auf dem Petersplatz spazieren. Zu dieser Stunde der Nacht herrschte hier eine ungeheure Finsternis und Einsamkeit. Als er anlangte, glaubte er sich in einem Meer von Schatten zu verlieren. Aber nach und nach gewöhnten sich seine Augen daran. Der riesige Raum ward nur von den vier Kandelabern mit sieben Brennern an den vier Ecken des Obelisken und von den wenigen Gasbrennern rechts und links, längs den zu der Basilika führenden Gebäuden erhellt. Unter dem Doppelportikus der Kolonnade brannten ebenfalls Laternen mit gelblichem Licht inmitten des gewaltigen Waldes der vier Säulenreihen, deren Schafte sie wunderlich abhoben. Auf dem Platze aber war nichts sichtbar als der farblose, wie gespenstisch aufsteigende Obelisk. Auch die Fassade von St. Peter tauchte, kaum erkenntlich, wie ein Traum, verschlossen, ausgestorben, in außerordentlicher, schlummernder, unbeweglicher und schweigender Größe auf. Den Dom sah er nicht; eine bläuliche, riesige Rundung auf dem Himmel verriet ihn kaum. Zuerst hatte er, irgendwo in der Tiefe dieses unbestimmten Dunkels das Rauschen der Fontänen gehört, ohne sie zu sehen; zuletzt unterschied er das dünne bewegliche Phantom der fortwährend aufschießenden Wasserstrahlen, die wie ein Regen wieder herabfielen. Und über dem ungeheuren Platze streckte sich der ungeheure, mondlose Himmel hin; er war wie aus dunkelblauem Sammet und die Sterne schienen die Dicke und den Glanz von Karfunkeln zu besitzen. Der Wagen mit seinen goldenen Rädern, seiner goldenen Deichsel lag umgekehrt über dem Dach des Vatikans, und da unten über Rom, auf der Seite der Via Giulia der prächtige, mit den drei goldenen Sternen seines Gürtels gezierte Orion.
    Pierre hob die Augen zum Vatikan empor. Aber dort war nur eine Anhäufung von wirren Fassaden zu sehen und nur im Stockwerk der päpstlichen Gemächer leuchtete der Schein zweier Lampen. Bloß in dem innen erleuchteten Damasiushof funkelten die rückwärtige und die linke Fassade in dem weißen Widerschein ihrer großen Treibhausfenster. Und noch immer kein Geräusch, keine Bewegung, nicht einmal ein Verschieben der Schatten. Zwei Personen durchschritten den ungeheuren Platz; eine dritte kam, die ebenfalls verschwand und dann blieb nichts zurück, als ein sehr ferner Tonfall rhythmischer Schritte. Es war die reine Einöde; weder Spaziergänger noch Vorübergehende, nicht einmal der Schatten eines Herumstreichers waren unter der Kolonnade, in dem Säulenwalde zu sehen, der ebenso leer war wie die hundertjährigen Urwälder der ersten Zeiten. Und was für eine feierliche Einöde, was für eine stolz-trostlose Stille! Noch nie hatte er den Eindruck eines so unermeßlichen, trüben Schlummers voll von dem majestätischen Adel des Todes empfunden.
    Zehn Minuten vor neun faßte Pierre einen Entschluß und wandte sich der Bronzethür zu. Ein einziger ihrer Thürflügel, am Ende des rechten Portikus stand noch offen; dort waren die Schatten noch dichter und hüllten sie in Nacht. Er erinnerte sich an die genauen Anweisungen, die Monsignore Nani ihm gegeben: an jeder Thür sollte er nach Herrn Squadra fragen, kein Wort hinzufügen – und jede Thür würde sich öffnen. Er würde sich bloß führen lassen brauchen. Niemand auf der Welt wußte jetzt, daß er hier sei, denn Benedetta war nicht mehr. Als er die Bronzethür durchschritten hatte und sich vor dem unbeweglichen Schweizer Gardisten befand, der mit verschlafener Miene den Eingang bewachte, sprach er einfach das verabredete Wort aus.
    »Herr Squadra.«
    Und da der Schweizer Gardist sich nicht rührte, ihm den Weg nicht vertrat, schritt er weiter, sofort nach rechts, zu der großen Halle der Scala Pia, der steinernen Treppe mit dem ungeheuren, viereckigen Treppenhause, die zum S. Damasiushof führt. Auch hier keine Seele zu sehen – nichts als das erstickte Echo der Schritte, nichts als der ruhige Schein der Gasbrenner, deren matte Kugeln das Licht milde bleichten.
    Oben, während er den Hof durchschritt, erinnerte er sich, daß er ihn bereits mit seinem Portikus, seinem Springbrunnen, seinem weißen Pflaster in der brennenden Sonne von den Loggien des Raphael aus gesehen habe. Aber jetzt bemerkte er nicht einmal mehr die fünf bis sechs wartenden Wagen, die

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