Rom - Band III
wechselten mit dem Löwen, der die Klaue auf die Weltkugel legte.
Aber Herr Squadra hatte bemerkt, daß Pierre, der Etikette zuwider, seinen Hut, den er im Saal der Bussolanti hätte lassen sollen, in der Hand behalten hatte. Nur die Kardinäle haben das Recht, das Barett bei sich zu behalten. Er nahm ihm den Hut mit einer diskreten Bewegung ab und legte ihn selbst auf den Pfeilertisch, um anzudeuten, daß er wenigstens hier bleiben müsse. Dann gab er, noch immer wortlos, mit einer einfachen Verbeugung zu verstehen, daß er den Besucher Seiner Heiligkeit anmelden wolle und daß dieser einen Augenblick in diesem Zimmer warten möge.
Als Pierre allein blieb, atmete er tief auf. Er erstickte, sein Herz klopfte zum Brechen. Trotzdem blieb sein Verstand klar; er hatte diese berühmten, diese prächtigen päpstlichen Gemächer im Halbdunkel sehr gut beurteilt. Sie waren mit den mit Stickereien geschmückten, mit Seide ausgeschlagenen Wänden und gemalten Friesen, den Plafonds, auf denen sich Fresken entfalteten, eine Flucht herrlicher Salons. Aber an Möbeln war nichts da als Pfeilertische, Schemel, Throne und die Lampen, die Uhren, die Kruzifixe, selbst die Throne waren nichts als Geschenke, die an großen Jubiläumstagen aus den vier Winkeln der Welt herbeigetragen worden waren. Nicht die geringste Behaglichkeit herrschte; alles war prunkend, steif, kalt und unbequem. Es war das alte Italien mit seiner fortwährenden Gala und seinem Mangel an vertraulichem, warmem Leben. Man hatte über die bewunderungswürdigen Marmorfliesen, auf denen die Füße erstarrten, ein paar Teppiche werfen müssen und zuletzt vor kurzem Heizapparate aufgestellt, die man übrigens aus Furcht, den Papst zu erkälten, nicht anzuzünden wagte. Was Pierre aber noch mehr auffiel, was ihm bis in die Knochen drang, während er jetzt wartend dastand, das war die außerordentliche Stille. Eine so tiefe Stille hatte er noch nirgends bemerkt; es war, als sei rings um ihn all das finstere Nichts des gewaltigen, in Schlaf versunkenen Vatikans in dieses Stockwerk, in diese Flucht einsamer, prächtiger und ausgestorbener Zimmer hinaufgestiegen, wo die kleinen, unbeweglichen Flammen der Lampen brannten.
Auf der Ebenholzuhr schlug es neun. Er geriet in Erstaunen. Wie, erst zehn Minuten waren verflossen, seit er die Bronzethür überschritten? Er hatte geglaubt, daß er seit Tagen unterwegs sei. Nun wollte er die nervöse Bedrückung, die ihn würgte, bekämpfen; denn er war nie seiner selbst sicher und fürchtete immer, seine Ruhe, seine Vernunft in einem Thränenanfall untergehen zu sehen. Er ging auf und ab, schritt an der Uhr vorüber, warf einen Blick auf das Kruzifix auf dem Pfeilertisch und betrachtete die Lampenkugel, auf der die fetten Finger eines Bedienten ihren Abdruck zurückgelassen hatten. Sie leuchtete mit so gelbem und schwachem Schein, daß er Lust hatte, sie höher zu schrauben; aber er wagte es nicht. Dann stand er, die Stirn an eine Scheibe gedrückt, vor dem Fenster, das auf den Petersplatz hinausging. Eine Minute lang ward er gepackt. Durch die klaffenden, schlecht schließenden Schalterläden breitete sich das ungeheure Rom vor ihm aus – Rom, so wie er es von den Loggien Rafaels aus gesehen, so wie er es sich an dem Tage gedacht hatte, an dem er von dem kleinen Restaurant auf dem Platze Leo XIII. am Fenster seines Zimmers zu sehen vermeinte. Nur war es jetzt das nächtliche, das von der Finsternis noch erweiterte Rom, grenzenlos wie der gestirnte Himmel. In diesem schrankenlosen Meer mit den schwarzen Wogen ließen sich mit Gewißheit nur die großen, durch das helle Weiß der elektrischen Beleuchtung in Milchstraßen verwandelten Straßen erkennen: der Corso Victor Emanuel, dann die Via Nazionale, dann der Corso, der sie im rechten Winkel durchschnitt und selbst in der gleichen Weise von der Via del Tritone durchschnitten wurde, die die Via S. Nicola del Tolentino fortsetzte, welche wiederum mit dem Thermenplatz und dem Bahnhof verbunden war. Auf der andern Seite des Corso Victor Emanuel und der Via Nazionale, gegen das alte Rom zu, flammten noch einige Plätze, einige Straßenecken, aber die Finsternis überflutete bereits alles. Das Uebrige war nur mehr ein Gewimmel kleiner, gelblicher Lichter, der kleinen Stückchen eines halb erloschenen, auf die Erde gefegten Himmels. Einige Konstellationen, einige glänzende, geheimnisvolle und edle Figuren bildende Sterne suchten vergeblich zu kämpfen und hervorzutreten. Sie verschwammen,
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