Rom - Band III
all der Verklärung des sichtbaren, von der Christenheit angebeteten Gottes, gleich einem Götzen in seinem Schrein aus Gold und Edelsteinen eingeschlossen, starren Antlitzes, von hieratischer, erhabener Unbeweglichkeit. Und jetzt sah er ihn in diesem Lehnstuhl, in enger Vertraulichkeit wieder. Er sah so dünn, so gebrechlich aus, daß er eine Art Unruhe empfand, in die sich Rührung mischte. Insbesondere der Hals war seltsam, unwahrscheinlich fadendünn, der Hals eines kleinen, sehr alten, ganz weißen Vogels. Das alabasterweiße Gesicht besaß eine charakteristische Durchsichtigkeit; man sah das Lampenlicht durch die große, gebieterische Nase schimmern, als ob alles Blut daraus gewichen sei. Der ungeheure Mund mit den schneeigen Lippen durchschnitt mit einer dünnen Linie den untern Teil der Physiognomie und nur die Augen waren schön und jung geblieben; es waren wunderbare Augen, leuchtend schwarz wie schwarze Diamanten, von einem Glanz, einer Gewalt, die die Herzen öffnete und sie zwang, die Wahrheit mit lauter Stimme zu bekennen. Das spärliche Haar schaute in leichten weißen Locken aus dem weißen Käppchen hervor und legte eine weiße Krone über das magere weiße Gesicht, dessen Häßlichkeit von all diesem Weiß geläutert ward. Das Fleisch schien sich in dieser rein seelischen Weiße zu einer lautern Lilienblüte aufzulösen.
Aber auf den ersten Blick hatte Pierre festgestellt, daß Herr Squadra ihn nicht darum habe warten lassen, weil er den heiligen Vater nötigen wollte, eine reinere Sutane anzuziehen; denn die, die er trug, war von Tabak, von braunem Schmutz, der längs der Knöpfe herabgeflossen war, stark befleckt. Und gut bürgerlich hielt der heilige Vater ein Schnupftuch auf dem Schoß, um sich abzuwischen. Uebrigens schien er wohl und von seinem gestrigen Unwohlsein hergestellt zu sein; er erholte sich gewöhnlich so leicht, denn er war ein sehr mäßiger und sehr weiser Greis, der keinerlei organische Krankheit hatte und einfach aus natürlicher Erschöpfung täglich ein bißchen dahinschwand, so wie eine Fackel, die immer leuchten muß, zuletzt eines Abends erlischt.
Schon von der Thüre aus fühlte Pierre die funkelnden Augen, die zwei schwarzen Diamantenaugen auf sich gerichtet. Eine ungeheure Stille herrschte; die beiden Lampen brannten mit unbeweglicher, blasser Flamme in dieser ungeheuren Ruhe des schlummernden Vatikans, ohne daß man etwas anderes vernahm als in der Ferne das alte, am Grunde der Nacht versunkene Rom. Es glich einem Tintensee, in dem sich die Sterne spiegelten. Er mußte näher treten, machte die drei Kniebeugungen und beugte sich herab, um den auf einem Kissen ruhenden roten Sammetpantoffel zu küssen. Kein Wort, keine Geberde, keine Bewegung ging vom Papste aus; und als Pierre sich aufrichtete, sah er die zwei schwarzen Diamanten, das flammende, geistvolle Augenpaar noch immer auf sich gerichtet.
Endlich hob Leo XIII., der ihm die Demütigung des Fußkusses nicht hatte ersparen wollen und ihn jetzt stehen ließ, zu sprechen an. Er hörte dabei nicht auf, ihn prüfend zu betrachten, ihn bis ins tiefste Wesen der Seele zu durchforschen.
»Mein Sohn, Sie haben lebhaft gewünscht, mich zu sehen. Ich habe eingewilligt, Ihnen diese Befriedigung zu gewähren.«
Er sprach französisch, etwas unsicher, mit italienischer Aussprache und so langsam, daß man die Sätze wie unter Diktat hätte niederschreiben können. Die Stimme war stark, nasal, eine jener dicken, grollenden Stimmen, die man aus gewissen schwächlichen, scheinbar blutlosen und atemlosen Körpern mit Ueberraschung vernimmt.
Pierre hatte sich damit begnügt, sich nochmals zum Zeichen tiefer Dankbarkeit zu verbeugen; wie er wußte, erforderte es der Respekt, daß man, ehe man sprach, abwartete, bis man direkt gefragt ward.
»Sie leben in Paris?«
»Ja, heiliger Vater.«
»Gehören Sie zu einer der großen städtischen Pfarren?«
»Nein, heiliger Vater, ich versehe nur die kleine Kirche von Neuilly.«
»Ach ja, ja, ich weiß. Neben dem Bois du Boulogne, nicht wahr? ... Und wie alt sind Sie, mein Sohn?«
»Vierunddreißig, heiliger Vater.«
Ein kurzes Schweigen entstand. Leo XIII. hatte zuletzt den Blick gesenkt. Er ergriff mit seiner zarten, elfenbeinernen Hand wieder das Glas Sirup, rührte es mit dem langen Löffel um und trank einen Schluck. Er that es sachte, mit vorsichtiger, bedachter Miene, wie alles, was er denken und thun mußte.
»Ich habe Ihr Buch gelesen, mein Sohn. Ja, zum großen Teil.
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