Rom - Band III
überall und in allem eine einzige Absicht: herrschen, um jeden Preis herrschen, als unumschränkter, allmächtiger Herr herrschen! Die Wirklichkeit stieg mit unwiderstehlicher Gewalt empor; dennoch wehrte er sich und blieb störrisch dabei, seinen Traum wieder in Besitz zu nehmen.
»O, heiliger Vater, ich würde mich so kränken, wenn Seine Eminenz infolge meines unseligen Buches auch nur eine Sekunde Verdruß hätte! Ich, der Schuldige, kann für meinen Fehler verantwortlich sein – aber Seine Eminenz, der nur seinem Herzen gehorcht hat, der nur durch seine allzu große Liebe zu den Enterbten dieser Welt gesündigt hätte!«
Leo XIII. antwortete nicht. Er hatte seine wunderbaren Augen, diese feurig lebensvollen Augen in dem unbeweglichen Gesicht eines Alabastergötzen, wieder zu Pierre erhoben und sah ihn abermals starr an.
Und in dem Fieber, von dem Pierre wieder ergriffen wurde, sah er ihn fortwährend an Glanz und Pracht zunehmen. Jetzt meinte er zu sehen, wie sich hinter ihm, durch alle Zeiten hindurch, die lange Reihe der Päpste hinzog, die er eben heraufbeschworen: die Heiligen und die Stolzen, die Krieger und die Asketen, die Diplomaten und die Theologen – die, die den Panzer trugen, die, die mit dem Kreuze siegten, die, die über Kaiserreiche verfügten, wie über einfache Provinzen, die Gott ihrer Hut anvertraut. Dann erschienen vor allem Gregor der Große, der Eroberer und Gründer, Sixtus V., der Unterhändler, der Staatsmann, der als Erster den Sieg des Papsttums über die besiegten Monarchen ins Auge faßte. Welche Menge prächtiger Fürsten, souveräner Herren, allmächtiger Gehirne und Arme, was für ein Haufen unerschöpflicher Willenskraft, genialer Hartnäckigkeit, grenzenloser Gewalt, lag hinter diesem blassen, unbeweglichen Greise! Ja, es war die ganze Geschichte des menschlichen Ehrgeizes, das ganze Bestreben, die Völker der Hoffart eines Einzigen zu unterwerfen, die höchste Macht, von der die Menschen je im Namen ihres eigenen Glückes erobert, ausgenützt, gemodelt wurden! Und zu was für einer geistigen Hoheit war dieser dünne, so blasse Greis selbst jetzt aufgestiegen, da sein irdisches Königtum ein Ende genommen! Er hatte gesehen, wie Frauen gleichsam von der aus seiner Person ausstrahlenden, furchtbaren Gottheit zerschmettert vor ihm in Ohnmacht fielen. Nicht nur die Aufsehen erregenden Ruhmesthaten, die vorherrschenden Triumphe der Geschichte rollten sich hinter ihm auf – nein, der Himmel selbst öffnete sich, das Jenseits strahlte in dem Glanze des Geheimnisvollen. Er hielt den Schlüssel vor der Thür des Himmels, er öffnete ihn den Seelen; das uralte Symbol, endlich von dem befleckenden irdischen Königtum befreit, lebte mit neuer Kraft wieder auf.
»O, heiliger Vater, wenn ein warnendes Beispiel gegeben werden muß, so strafen Eure Heiligkeit keinen andern als mich. Ich bin gekommen, da bin ich; mögen Eure Heiligkeit über mein Schicksal entscheiden, aber meine Strafe nicht durch Gewissensbisse verschärfen, einen Unschuldigen ins Verderben gezogen zu haben.«
Leo XIII. fuhr fort, ihn mit seinen brennenden Augen anzusehen, ohne zu antworten. Und er sah nicht mehr Leo XIII., den zweihundertdreiundsechzigsten Papst, den Statthalter Jesu Christi, Nachfolger des Apostelfürsten, souveränen Pontifex der Weltkirche, Patriarchen des Occident, Primas von Italien, Erzbischof und Metropolit der römischen Provinz, Souverän der weltlichen Domänen der heiligen Kirche – nein, er sah Leo XIII., von dem er geträumt, den erwarteten Messias, den Retter, der gesandt wurde, um das furchtbare soziale Unheil zu beschwören, in dem die alte, verfaulte Gesellschaft versank. Er sah ihn vor sich, mit seinem ungeheuren, geschmeidigen Geist, seiner brüderlichen Versöhnungstaktik, die Zusammenstöße vermeidend, auf die Einheit hin arbeitend, mit seinem von Liebe überströmenden Herzen unmittelbar zum Herzen der Mengen sprechend und zum Zeichen des neuen Bundes noch einmal sein bestes Blut hingebend. Er stellte ihn als die einzige moralische Autorität auf, als das einzig mögliche Band der Nächstenliebe und des Friedens, mit einem Wort als den Vater, der allein im stande ist, der Ungerechtigkeit unter seinen Kindern ein Ende zu machen, das Elend zu töten, das befreiende Gesetz der Arbeit wieder einzusetzen, indem er die Völker zu dem Glauben der Urkirche, zur Milde und Weisheit der christlichen Gemeinde zurückführte. Und diese hohe Gestalt nahm in der tiefen Stille des Zimmers
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