Rom - Band III
Gewöhnlich legt man mir nur Bruchstücke vor, aber jemand, der sich für Sie interessirt, hat mir das Buch direkt übergeben, indem er mich anflehte, es zu überfliegen. Auf diese Weise habe ich davon Kenntnis nehmen können.«
Und er machte eine leichte Geberde, in der Pierre eine Verwahrung gegen die Isolirung zu sehen glaubte, in der seine Umgebung ihn erhielt – jene verabscheuungswürdige Umgebung, die nach den Worten Monsignore Nanis selbst achtsam darüber wachte, daß nichts Beunruhigendes von der Außenwelt eindrang.
»Ich danke Eurer Heiligkeit für die mir erwiesene so große Ehre,« erlaubte sich nun der Priester zu sagen. »Es konnte mir kein größeres noch sehnlicher erwünschtes Glück zukommen.«
Wie glücklich war er! Er bildete sich ein, daß seine Sache gewonnen sei, da der Papst sehr ruhig, ohne jeden Zorn mit ihm über sein Buch redete, wie jemand, der ihn nun bis auf den Grund kannte.
»Sie stehen in Beziehungen zu dem Herrn Vicomte Philibert de la Choue, nicht wahr, mein Sohn? Die Aehnlichkeit gewisser Ihrer Ideen mit denen dieses sehr ergebenen Dieners, der uns andererseits kostbare Beweise seiner guten Gesinnung gegeben hat, fiel mir anfangs auf.«
»Allerdings, heiliger Vater, Herr de la Choue will mir wohl. Wir haben viel mit einander gesprochen; da ist es nicht verwunderlich, daß ich mehrere seiner liebsten Gedanken wiedergegeben habe.«
»Gewiß, gewiß. So auch die Zunftfrage. – Er beschäftigt sich viel mit ihr, sogar ein wenig zu viel. Zur Zeit seiner letzten Reise hat er mich mit seltener Beharrlichkeit damit unterhalten, ebenso wie jüngst ein anderer Ihrer Landsleute, einer der besten und vorzüglichsten Menschen, der Herr Baron von Fouras, der uns den schönen Pilgerzug des Peterspfennig hergeführt hat, nicht Ruhe hatte, bis ich ihn empfing, um dann beinahe eine Stunde darüber zu reden. Aber man muß sagen, sie sind gar nicht einig; denn der eine fleht mich an, etwas zu thun, was ich dem andern zufolge nicht thun soll.«
Das Gespräch schweifte gleich von Anfang an ab. Pierre fühlte, daß es von seinem Buche ablenkte, erinnerte sich aber, daß er dem Vicomte für den Fall, daß er den Papst sehen und die Gelegenheit sich darbieten sollte, förmlich versprochen hatte, einen Versuch zu machen, um ihn zu einem entscheidenden Ausspruch über die berühmte Frage, ob die Zünfte frei oder obligatorisch, offen oder geschlossen sein sollten, zu bewegen. Seit er in Rom war, hatte er Brief auf Brief des armen Vicomte erhalten, den die Gicht in Paris annagelte, während sein Nebenbuhler, der Baron, die wunderbare Gelegenheit des Pilgerzuges, dessen Führer er war, benützte, um dem Papst das einfache Zustimmungswort zu entreißen; dieses hätte er dann triumphirend zurückgebracht. Der Priester legte Gewicht darauf, sein Versprechen gewissenhaft zu erfüllen.
»Eure Helligkeit weiß besser als wir alle, wo die Weisheit ist. Herr von Fouras glaubt, daß die Rettung, die Lösung der Arbeiterfrage einfach in der Wiederherstellung der alten freien Zünfte liegt, während Herr de la Choue obligatorische, vom Staat beschützte und neuen Regeln unterworfene Zünfte wünscht. Sicherlich entspricht diese letztere Ansicht mehr den heutigen sozialen Ideen. Wenn Eure Heiligkeit geruhen würde, sich in diesem Sinne auszusprechen, vermöchte die junge katholische Partei in Frankreich sicherlich das schönste Resultat daraus zu erzielen. Eine ganze Arbeiterbewegung zum Ruhme der Kirche würde entstehen.«
»Aber ich kann es nicht,« antwortete Leo XIII. mit seiner ruhigen Miene. »In Frankreich verlangt man von mir stets Dinge, die ich nicht thun kann, nicht thun will. Was ich Ihnen erlaube, Herrn de la Choue von mir zu sagen, ist, daß wenn ich ihn auch nicht zufriedenstellen kann, ebenso wenig Herr von Fouras zufrieden gestellt werden wird. Er hat gleichfalls nur den Ausdruck meines Wohlwollens für Ihre teuren französischen Arbeiter, die für die Wiederherstellung des Glaubens so viel vermögen, von mir mitgenommen. Begreift doch endlich bei euch, daß es Detailfragen, mit einem Wort einfache Organisationsfragen gibt, in die ich mich unmöglich einlassen kann, wenn ich mich nicht der Gefahr aussetzen will, ihnen eine Wichtigkeit zu geben, die sie nicht besitzen, den einen heftiges Mißvergnügen zu bereiten, wenn ich den anderen ein zu großes Vergnügen machte.«
Ein schwaches Lächeln zog um seinen Mund. In diesem Lächeln zeigte sich der ganze konziliante, kluge Staatsmann, der
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