Rom - Band III
seiner dicken, unversiegbaren Stimme immer weiter und der Priester hörte, wie er sagte:
»Warum haben Sie jene von einem so bösen Geist befleckte Stelle über Lourdes geschrieben? Lourdes, mein Sohn, hat der Religion große Dienste erwiesen. Ich habe Leuten gegenüber, die mir die rührenden, fast täglich sich begebenden Wunder der Grotte erzählen kamen, öfters den lebhaften Wunsch geäußert, daß diese Wunder durch die strengste Wissenschaft bestätigt, festgestellt werden möchten. Aber nach dem, was ich gelesen habe, scheint es mir, daß heutzutage auch die Uebelwollenden nicht mehr zweifeln können, denn die Wunder sind fortan auch wissenschaftlich in unwiderleglicher Weise bewiesen worden ... Die Wissenschaft, mein Sohn, muß die Magd Gottes sein. Sie vermag nichts gegen ihn, und nur durch ihn allein gelangt sie zur Wahrheit. Alle Lösungen, die man wirklich zu finden angibt, die die Dogmen zu zerstören scheinen, werden eines Tages notgedrungen für falsch erkannt werden; denn die Wahrheit Gottes wird siegen, sobald die Zeit sich erfüllt hat. Es sind doch ganz einfache Gewißheiten, die schon die kleinen Kinder kennen, die für den Frieden, das Heil der Menschen genügen würden, wenn sie sich mit ihnen begnügen wollten ... Und, mein Sohn, seien Sie überzeugt, daß der Glaube mit der Vernunft nicht unvereinbar ist. Ist nicht der heilige Thomas da, der alles vorausgesehen, alles erklärt, alles geregelt hat? Ihr Glauben ist durch den Ansturm des Geistes der Forschung erschüttert worden; Sie haben Beunruhigungen, Beängstigungen kennen gelernt, die der Himmel den Priestern dieses altgläubigen Landes, dieses vom Blute so vieler Märtyrer geheiligten Roms ersparen möge. Aber wir fürchten den Geist der Forschung nicht; studiren Sie weiter, lesen Sie gründlich den heiligen Thomas und Ihr Glaube wird fester, entschiedener und triumphirend wiederkehren.«
Pierre nahm alle diese Dinge verstört entgegen, als ob ihm Stücke des Himmelskörpers auf den Schädel gefallen wären. O Gott der Wahrheit! Die Wunder von Lourdes sind wissenschaftlich bewiesen, die Wissenschaft ist die Magd Gottes, der Glaube mit der Vernunft vereinbar, der heilige Thomas genügt der Gewißheit des Jahrhunderts! O Gott, wieso antworten? Und wozu antworten?
»Es ist das sündhafteste und gefährlichste Buch, das existirt,« schloß Leo XIII. endlich. »Ein Buch, dessen bloßer Titel, ›Das neue Rom‹, an und für sich eine Lüge und ein Gift ist, ein Buch, daß um so verdammungswürdiger erscheint, als es alle Verlockungen des Stils, alle Verderbtheiten hochherziger Chimären besitzt – mit einem Wort ein Buch, das ein Priester, wenn er es in einer Stunde der Verirrung verfaßt hat, zur Strafe öffentlich, mit derselben Hand verbrennen muß, die diese irrenden, ärgerniserregenden Seiten schrieb.«
Pierre erhob sich plötzlich und stand aufrecht da. In der ungeheuren Stille, die sich um dieses ausgestorbene, so schwach beleuchtete Zimmer gebildet hatte, existirte nichts als das Rom vor den Fenstern, das nächtliche, schattenüberflutete, ungeheure, schwarze, nur von Sternenstaub bestreute Rom.
»Es ist wahr,« wollte er rufen, »ich hatte den Glauben verloren, aber ich glaubte ihn in dem Mitleid wieder zu finden, das das Elend der Welt mir ins Herz legte. Sie waren meine letzte Hoffnung, der erwartete Erlöser. Nun ist auch das ein Traum. Sie können kein neuer Jesus sein und am Vorabend des furchtbaren Bruderkrieges, der sich vorbereitet, Frieden unter den Menschen stiften. Sie können den Thron nicht lassen und mit den Geringen, mit den Armen durchs Land ziehen, um das erhabene Werk der Brüderlichkeit zu vollziehen. Wohlan, es ist aus mit Ihnen, aus mit Ihrem Vatikan, Ihrem heiligen Vater. Alles bricht unter dem Ansturm des aufsteigenden Volkes und der wachsenden Wissenschaft zusammen. Sie existiren nicht mehr; nichts existirt hier mehr als Schutt.«
Aber er sprach diese Worte nicht aus. Er verbeugte sich und sagte:
»Heiliger Vater, ich unterwerfe mich und verwerfe mein Werk.«
Seine Stimme zitterte vor bitterem Widerwillen; seine ausgebreiteten Hände machten eine hilflose Bewegung, als lasse er seine Seele fahren. Es war die genaue Unterwerfungsformel: Auctor laudabiliter se subjecit et opus reprobavit – der Verfasser hat sich löblicherweise unterworfen und sein Werk verworfen. Es gab keine höhere Verzweiflung, keine erhabenere Größe im Gestehen eines Irrtums und im Selbstmord einer Hoffnung. Aber welch
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