Rom - Band III
mit solcher Anbetung an, daß er ihm sein ganzes Herzblut darzubieten schien, um ihm den geringsten Schmerz zu ersparen.
»Ach, es ist der Tod der armen Frau,« antwortete Orlando traurig. »Ich sagte zu Herrn Froment, wie trostlos ich darüber sei und fügte hinzu, daß ich das Geschehene erst begreifen müßte. Die Zeitungen sprechen von einem plötzlichen Tode. Das ist immer etwas so Außerordentliches!«
Prada richtete sich mit sehr bleichem Gesicht auf. Der Priester hatte noch nicht gesprochen. Aber was für ein furchtbarer Moment! Wenn er antwortete, wenn er spräche!
»Sie waren dabei, nicht wahr?« fuhr der Greis fort. »Sie haben alles gesehen ... Erzählen Sie mir doch, wie es sich zugetragen hat.«
Prada sah Pierre an. Ihre Blicke trafen sich starr und drangen in einander ein. Alles spielte sich noch einmal zwischen ihnen ab. Da war wieder das schreitende Schicksal, da war Santobono, dem sie am Fuße der Abhänge von Frascati mit seinem kleinen Korbe begegneten; da war die Rückfahrt durch die schwermütige Campagna, das Gespräch über Gift, während der kleine Korb auf den Knieen des Pfarrers dahinfuhr und sich langsam schaukelte; da war vor allem die in der Einöde schlummernde Osteria, die kleine, plötzlich gestorbene schwarze Henne, mit einem violetten Blutstrom am Schnabel. Dann kam, in derselben Nacht, der strahlende Ball bei den Buongiovannis – ein wahrer Duft von Frauen, ein wahrer Triumph der Liebe. Zuletzt stand vor dem im silbernen Mondlicht schwarz sich abhebenden Palazzo Boccanera der Mann, der sich eine Cigarre anzündete und langsam, ohne den Kopf zu wenden, sich entfernte, indem er das dunkle Schicksal sein Todeswerk ausführen ließ. Diese Geschichte kannten sie beide, lebten sie wieder durch und hatten es nicht nötig, sie sich laut zu wiederholen, um sicher zu sein, daß sie einander bis ins tiefste Herz geschaut hatten.
Pierre hatte dem Greise nicht sofort geantwortet.
»O, es sind schreckliche Dinge vorgegangen,« murmelte er endlich, »schreckliche Dinge ...«
»Gewiß, das habe ich geahnt,« fuhr Orlando fort. »Sie können uns alles sagen ... Mein Sohn hat angesichts des Todes vergeben.«
Der Blick Pradas suchte abermals den Pierres und legte sich so schwer, so voll innigen Flehens auf ihn, daß der Priester tief erschüttert ward. Er erinnerte sich an die Herzensangst dieses Mannes während des Balles, an die gräßlichen Eifersuchtsqualen, die er wohl hatte erleiden müssen, ehe er dem Schicksal die Sorge für seine Rache überließ. Er stellte sich zusammen, was dann, nach der furchtbaren Lösung, in ihm vorgegangen sein mußte; zuerst das Erstaunen über diese Raschheit des Schicksals, diese Rache, die grausamer ausgefallen, als er verlangt hatte; dann die eisige Ruhe des ruhigen Spielers, der die Ereignisse abwartet, die Zeitungen liest und keine anderen Gewissensbisse empfindet als die des Feldherrn, den ein Sieg zu viele Menschen gekostet hat. Er hatte sofort begriffen, daß der Kardinal die Sache um der Ehre der Kirche willen begraben würde. Nur auf dem Herzen blieb ihm ein schweres Gewicht liegen – vielleicht war es die Sehnsucht nach jener so heißersehnten Frau, die er nie besessen, nie besitzen würde – vielleicht auch eine furchtbare, letzte Eifersucht, die er sich nicht eingestand, an der er allezeit leiden würde – die, sie im Grabe auf ewig in den Armen eines andern zu wissen. Und nun erhob sich aus dieser sieghaften Anstrengung, die Ruhe zu bewahren, aus diesem kalten, reuelosen Warten die Strafe, die Furcht, daß das mit den vergifteten Feigen einherschreitende Schicksal nicht nochmals auf seinem Wege innehalten und durch einen Rückschlag seinen Vater treffen könnte. Noch ein Donnerschlag, noch ein Opfer – das unerwartetste, das angebetetste. Seine ganze Widerstandskraft war in einer Minute zusammengebrochen; hilfloser und zitternder als ein Kind stand er dem Schrecken des Schicksals gegenüber.
»Aber,« sprach Pierre langsam, als suche er die Worte zusammen, »aus den Zeitungen haben Sie doch wohl entnommen, daß der Fürst zuerst verschied und die Contessina vor Schmerz starb, indem sie ihn zum letztenmal umarmte. Die Todesursachen ... mein Gott, Sie wissen, daß die Aerzte selbst sich gewöhnlich nicht genau auszusprechen wagen –«
Er hielt inne; er hörte plötzlich die Stimme der sterbenden Benedetta, wie sie ihm den schrecklichen Befehl erteilte: »Sie werden seinen Vater sehen. Ich beauftrage Sie, ihm zu sagen, daß ich seinen
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