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Rom - Band III

Rom - Band III

Titel: Rom - Band III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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das Bild all der nutzlosen Versuche, bei der Wahrheit einzudringen, all der furchtbaren Hilflosigkeit, in die der Mensch versinkt, sobald es an der Mauer anstößt, die das Unbekannte verrammelt? Lange sah er sie an, und von neuem ergriff ihn die Qual, daß er fortgehen mußte, ohne ihr von den goldenen Haaren überflutetes Gesicht gekannt zu haben – dieses Gesicht voll schmerzlicher Schönheit, das er sich so jugendstrahlend, so geheimnisvoll entzückend vorstellte. Und er glaubte sie schon zu kennen, er war im Begriffe, sie endlich zu verstehen, als an die Thür geklopft wurde.
    Zu seiner Ueberraschung sah er Narcisse Habert eintreten, der sich vor drei Tagen nach Florenz begeben hatte. Der künstlerisch bummelnde junge Gesandtschaftsattaché gefiel sich in solchen Ausflügen. Narcisse entschuldigte sich sofort wegen seines plötzlichen Eindringens.
    »Du ist Ihr Gepäck, ich weiß, daß Sie heute abend reisen, da wollte ich Sie nicht wegfahren lassen, ohne Ihnen die Hand zu schütteln ... Und was für furchtbare Dinge sind vorgegangen, seit wir uns zum letztenmal sahen! Ich bin erst heute nachmittag zurückgekommen und konnte daher dem Leichenbegängnis von heute morgen nicht beiwohnen. Aber Sie können sich meine Ergriffenheit vorstellen, als ich diese zwei schrecklichen Todesfälle erfuhr.«
    Er fragte ihn aus, denn als einer, der das düstere, legendenhafte Rom kannte, ahnte er irgend ein uneingestandenes Drama. Uebrigens drang er nicht weiter in ihn; er war im Grunde viel zu vorsichtig, um sich nutzlos mit furchtbaren Geheimnissen zu belasten. Er begnügte sich damit, über das, was ihm der Priester von den zwei eng umschlungenen, im Tode übermenschlich schönen Liebenden erzählte, in Begeisterung zu geraten und ward böse, weil niemand sie abgezeichnet hatte.
    »Aber Sie selbst, mein Lieber, hatten es thun sollen! Es macht nichts, daß Sie nicht zeichnen können. Sie hätten Ihre Naivität hineingelegt, hätten vielleicht ein Meisterwerk hinterlassen.«
    Dann beruhigte er sich.
    »Ach, die arme Contessina, der arme Fürst! Aber es thut nichts; sehen Sie, in diesem Lande kann alles zusammenbrechen – sie haben die Schönheit besessen, und die Schönheit ist unzerstörbar!«
    Pierre ward durch das Wort betroffen. Sie sprachen lange über Italien, Rom, Neapel, Florenz. »Ah, Florenz!« wiederholte Narcisse schmachtend. Er hatte sich eine Cigarre angezündet und sprach in langsamerem Ton, während er die Blicke rings um das Zimmer schweifen ließ.
    Sie haben es hier gut gehabt, sehr ruhig. Ich war noch nie hier oben in diesem Stockwerk.«
    Seine Augen fuhren fort, über die Wände zu schweifen; da wurden sie von dem alten, von der Lampe beleuchteten Gemälde aufgehalten. Einen Augenblick zuckten seine Lider überrascht; mit einemmal erhob er sich und trat näher.
    »Was ist denn das? Was ist denn das? Das ist ja sehr gut, das ist ja sehr schön!«
    »Nicht wahr?« meinte Pierre. »Ich verstehe mich darauf nicht, aber es hat mich vom ersten Tage an nicht weniger ergriffen. Und wie oft bin ich mit klopfendem, von unsagbaren Dingen geschwelltem Herzen davor stehen geblieben!«
    Narcisse sprach nicht mehr, sondern betrachtete das Gemälde aus der Nähe mit der Sorgfalt eines Kenners, eines Sachverständigen, dessen scharfer Blick die Echtheit entscheidet und den Kaufwert bestimmt. Eine ganz seltsame Freude malte sich auf seinem blonden, schmachtenden Gesicht, während ein leises Zittern seine Finger ergriff.
    »Das ist ein Botticelli! Ein Botticelli! Ein Zweifel ist nicht möglich. Sehen Sie doch die Hände an, die Falten der Draperien. Und der Ton des Haares, die ganze Manier, der Schwung der ganzen Komposition!... Ein Botticelli! O Gott, ein Botticelli!«
    Er wurde ganz schwach und überströmte von wachsender Bewunderung, je mehr er in diesen so einfachen und so packenden Vorwurf eindrang. War das nicht akut modern? Der Künstler hatte unser ganzes, klägliches Jahrhundert, unsere Unruhe nur dem Unsichtbaren, unsere Not vorausgesehen, weil wir die auf ewig geschlossene Thür des Geheimnisvollen nicht überschreiten können. Und was für ein ewiges Symbol des Weltelends war dieses Weib, dessen Gesicht man nicht sah, das so rasend schluchzte, ohne daß man seine Thränen abwischen konnte! Welch ein Fund! Ein unbekannter Botticelli, ein Botticelli von dieser Qualität, der in allen Katalogen fehlte!
    »Wußten Sie, daß es ein Botticelli ist?« unterbrach er sich.
    »Meiner Treu, nein! Ich fragte eines Tages Don

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