Rom - Band III
daß die Thränen ihm in die Augen stiegen; und als er den zerschmetterten Helden von ganzer Seele auf beide Wangen küßte, fühlte er, daß auch er weinte. Mit der einen noch kräftigen Hand hielt er ihn wie ein Schraubstock einen Augenblick bei seinem Krankenstuhl fest, während er ihm mit der andern, mit einer erhabenen Geberde zum letztenmal Rom zeigte, das in seiner Trauer, unter dem aschfarbenen Himmel ungeheuer dalag. Seine Stimme wurde leiser, bebend und flehend.
»Und, bitte, schwören Sie mir, es trotz allem, allem zum Trotz zu lieben! Denn es ist die Wiege, es ist die Mutter! Lieben Sie es um dessentwillen, was es nicht mehr ist, um dessentwillen, was es sein will! ... Sagen Sie nicht, daß es aus mit ihm ist. Lieben Sie es, lieben Sie es, damit es noch bestehe, damit es ewig bestehe!«
Unfähig zu antworten, umarmte ihn Pierre abermals. Die so große Leidenschaft dieses Greises, der von seiner Stadt sprach, wie man zu dreißig Jahren von einem angebeteten Weibe spricht, erschütterte ihn, und er kam ihm mit seinem gesträubten weißen Löwenhaar, mit seinem hartnäckigen Wunsch nach einer nahen Auferstehung so schön, so groß vor, daß noch einmal der andere große Greis, der Kardinal Boccanera, vor ihm aufstieg. Auch er beharrte so störrisch bei seinem Glauben, gab nichts von seinem Traum auf und war bereit, von dem fallenden Himmel an Ort und Stelle zermalmt zu werden. Sie standen einander stets zu beiden Enden der Stadt gegenüber und nur ihre hohen Gestalten beherrschten den Horizont, während sie der Zukunft harrten.
Dann, nachdem Pierre sich von Prada empfohlen hatte und sich wieder auf der Straße, in der Via del Venti Settembre befand, blieb ihm nur noch eines übrig: in den Palast in die Via Giulia zurückzukehren, um seinen Koffer zu packen und abzureisen. Alle seine Abschiedsbesuche waren gemacht; er brauchte nur noch von Donna Serafina und dem Kardinal Abschied zu nehmen und ihnen für ihre so wohlwollende Gastfreundschaft zu danken. Für ihn allein würde ihre Thür sich öffnen; denn sie hatten sich nach der Rückkehr vom Begräbnis eingeschlossen und waren entschlossen, niemand zu empfangen. Von der Dämmerung an konnte Pierre daher glauben, daß er in dem ungeheuren, dunklen Palaste vollständig allein sei, da nur noch Victorine ihm Gesellschaft leistete. Als er den Wunsch bezeugte, mit Don Vigilio zu essen, meldete sie ihm, daß auch der Abbé sich in seinem Zimmer eingeschlossen habe, und als er, da er ihm wenigstens ein letztesmal die Hand drücken wollte, an die Thür des neben dem seinen gelegenen Zimmers klopfte, erhielt er nicht einmal eine Antwort. Er erriet, daß der Sekretär, von einem Anfall von Fieber und von Mißtrauen gepackt, ihn aus Furcht, sich noch mehr bloßzustellen, nicht empfangen wolle. Somit war alles geregelt; man kam überein, daß Victorine ihm, da der Zug erst um zehn Uhr siebenzehn Minuten abging, sein Abendbrot wie gewöhnlich um acht Uhr auf dem kleinen Tisch in seinem Zimmer auftragen lassen solle. Sie selbst brachte ihm eine Lampe und sprach davon, ihm seine Wäsche zurecht zu legen. Aber er wollte sich unbedingt nicht von ihr helfen lassen, und sie mußte ihn ruhig seinen Koffer packen lassen.
Er hatte eine kleine Kiste gekauft, da sein Handkoffer für die Wäsche und die Kleider nicht ausreichen konnte, die er sich, je länger sein Aufenthalt sich ausdehnte, von Paris hatte kommen lassen. Trotzdem dauerte die Arbeit nicht lange; bald waren der Schrank geleert, die Schubladen durchsucht, die kleine Kiste und der Handkoffer gefüllt und zugesperrt. Es war erst sieben Uhr; er hatte bis zum Abendbrot noch eine Stunde zu warten. Da fielen seine Blicke, während sie an den Wänden entlang gingen, um sicher nichts zu vergessen, auf das alte Bild, das Gemälde eines unbekannten Meisters, das ihn während seines Aufenthaltes so oft bewegt hatte. Gerade jetzt fiel das Licht der Lampe voll darauf und ließ es hervortreten; und auch diesmal traf es ihn ins Herz, um so tiefer, als er sich in dieser letzten Stunde einbildete, in dieser klagenden, tragischen Frauengestalt, die halb nackt, in einen Fetzen gehüllt, auf der Schwelle des Palastes saß, aus dem man sie verjagt hatte, und in ihre gefalteten Hände hinein weinte, das ganze Symbol seiner Niederlage in Rom zu sehen. War diese Verstoßene, diese Beharrlichliebende, die so schluchzte, von der man nichts wußte, weder wie ihr Gesicht aussah noch von wannen sie kam, noch was sie begangen – war sie nicht
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