Rom - Band III
bei uns zu Hause denke, wenn es tags zuvor geregnet hat und das ganze Land so milde, so angenehm aussieht, als wolle es nach dem Weinen lachen. Nein, nein, an ihr verteufeltes Rom werde ich mich nie gewöhnen können. Nein, was für Leute, was für ein Land!«
Ihre treue Anhänglichkeit an die Heimat, die sie noch nach einem fünfundzwanzigjährigen Aufenthalt fremd und unempfindlich bleiben ließ, belustigte ihn. Als Kind eines liebenswürdigen, gemäßigten, heitern, am Morgen von rosigen Nebeln überhauchten Landes graute ihr vor dieser Stadt des grellen Lichtes und der schwermütigen Vegetation. Er selbst vermochte sich nicht ohne lebhafte Bewegung zu sagen, daß er bald die lieblichen, köstlichen Ufer der Seine wiedersehen würde.
»Aber was hält Sie hier zurück, da jetzt Ihre junge Herrin nicht mehr ist?« fragte er. »Warum steigen Sie nicht mit mir in den Zug?«
Sie sah ihn voll Ueberraschung an.
»Ich, von hier weggehen, wieder da hinauf zurück? O nein, Herr Abbé, das ist unmöglich. Erstens wäre das gar zu undankbar, denn Donna Serafina ist an mich gewöhnt; es wäre sehr schlecht von mir, wenn ich sie und Seine Eminenz verlassen wollte, da sie im Unglück sind. Und dann, was soll ich denn anderswo anfangen? Mein Loch ist jetzt einmal hier.«
»So werden Sie also Anneau nie wiedersehen?«
»Nein, nie. Das steht fest.«
»Und es wird Ihnen nichts daran liegen, hier begraben zu werden, in dieser Erde zu schlafen, die nach Schwefel riecht?«
Sie brach in ein freimütiges Lachen aus.
»O, wenn ich tot bin, ist es mir gleich, wo ich bin! Zum Schlafen ist es überall gut, Herr Abbé! Es ist komisch, daß Sie sich so um das sorgen, was geschieht, wenn man tot ist. Gar nichts geschieht, bei Gott! Was mich beruhigt, was mich beschwichtigt, ist der Gedanke, daß es für alle Zeit aus sein wird und daß ich mich ausruhen werde. Der liebe Gott ist das unser einem, der so viel gearbeitet hat, wohl schuldig. Sie wissen, ich bin keine Fromme. O nein! Aber das hat mich nicht abgehalten, mich anständig aufzuführen; so wie Sie mich ansehen, habe ich nie einen Geliebten gehabt. Wenn man in meinem Alter so etwas sagt, sieht das dumm aus. Trotzdem sage ich es, denn es ist die reine Wahrheit.«
Sie lachte wieder, wie ein braves Mädchen, das an die Pfarrer nicht glaubte und keine einzige Sünde auf dem Gewissen hatte. Pierre wunderte sich abermals über diesen einfachen Lebensmut, die hohe, praktische Vernunft dieser so ergebenen Arbeiterin. Sie verkörperte ihm das ungläubige, gemeine Volk von Frankreich, das nicht mehr glaubt, nie mehr glauben wird. Ach, wer doch sein konnte wie sie, wer seine Aufgabe erfüllen und sich ohne hoffärtige Empörung, bloß in der Freude, seinen Teil an der Arbeit gethan zu haben, zum ewigen Schlaf niederlegen könnte!
»Also, Victorine, dann soll ich, wenn ich je durch Anneau komme, dem kleinen Wäldchen voller Moos in Ihrem Namen guten Tag sagen?«
»Thun Sie das, Herr Abbé. Sagen Sie ihm, daß ich es im Herzen habe und daß ich es darin jeden Tag wieder grün werden sehe.«
Da Pierre mit dem Abendbrot fertig war, ließ sie das Geschirr durch Giacomo wegtragen. Dann riet sie dem Priester, da es erst halb neun war, noch eine Stunde ruhig in seinem Zimmer zu bleiben. Wozu sollte er zu früh auf dem Bahnhof frieren? Um halb zehn würde sie einen Fiaker holen lassen und sobald der Wagen unten sei, würde sie es ihm melden und sein Gepäck herabtragen lassen. Er könnte also ganz ruhig sein; er brauche sich um nichts mehr kümmern.
Als sie sich entfernt hatte und Pierre allein war, empfand er in der That ein Gefühl von Leere, von seltsamer Abgeschiedenheit. Sein Gepäck, sein Koffer und die kleine Kiste lagen am Boden, in einem Winkel des Zimmers. Und wie stumm, wie wüst und ausgestorben war dieses Zimmer, das ihm schon wie fremd vorkam! Es blieb ihm nichts übrig, als abzureisen, er war schon abgereist und Rom ringsum war nur mehr ein Bild – das Bild, das er in der Erinnerung mitnehmen würde. Noch eine Stunde. Das kam ihm maßlos lang vor. Unter ihm schlief der dunkle, einsame Palast in der Vernichtung seines Schweigens. Er setzte sich nieder, um sich zu gedulden und versank in ein tiefes Sinnen.
Was er heraufbeschwor, das war sein Buch, »das neue Rom« – so wie er es geschrieben, so wie er es zu verteidigen gekommen war. Er erinnerte sich an den ersten Morgen auf dem Janiculus, am Rande der Terrasse von S. Pietro in Montono, im Angesichte des so ersehnten Rom, das
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