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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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härtesten Kasteiungen, ehe er innerlich gereinigt war, um sodann als Asket in Rom aufzutreten im Verein mit drei vornehmen Damen der besseren Gesellschaft und zweien ihrer Töchter, um hinfort Frömmigkeit und Enthaltsamkeit als Lebensmaxime zu verbreiten. So einer bist du also, dachte ich, als ich dies las. Fünf Frauen! Eine hat dir nicht gereicht! Diese Form der Askese würde auch mir gefallen! Doch leider fehlt mir dazu die charismatische Veranlagung, die Verführungskraft. Ich fürchte, ich bin auf eine nachdenkliche Weise durchschnittlich. Was ich noch am besten vermag, ist, einen Zustand der sanften Depression einzunehmen, den man früher mit dem leider aus der Mode gekommenen Begriff der Melancholie bezeichnet hat. Ich bin oft und gerne melancholisch. Vor allem in Hallenbädern und besonders intensiv in Wellenbädern. Ja, immer wenn ich ein solches Bad aufsuchen kann, nutze ich die Gelegenheit, angesichts dieses gefangenen Meeres künstlicher Wellen in Trübsinn zu verfallen. Ich schwimme nicht, ich sitze am Rand und schaue den zahllosen fröhlichen Menschen inmitten der grünen, gläsernen Brecher zu, die nicht vom Wind und der Strömung erzeugt werden, sondern von großen, mechanischen Kolben. Die Badenden tummeln sich in ihnen und merken gar nicht, dass sie auf eine Illusion hereinfallen.
    Noch ein Wort zu Dürer. Man sagt, dass ich ihm ähnlich sehe, oder besser gesagt, ähnlich sah, als ich die Haare noch schulterlang trug. Jedenfalls jenen frühen Selbstporträts des Meisters, in denen er sich als Jesus stilisiert auf eine Weise, die unsere Vorstellung vom Sohn Gottes als einer Art Hippie so nachhaltig geprägt haben. Ich bin jetzt zu alt dafür und trage die Haare kurz, vielleicht weil sich die ersten grauen Strähnen in ihnen zeigen und weil ich signalisieren will, dass mein Erwachsenwerden kurz bevorsteht. Dabei halte ich mich eigentlich für einen ewigen Sohn und ich fürchte, ich werde diesen Status auch noch als Siebzigjähriger haben, wenn ich überhaupt so alt werde. Derzeit bin ich in keinem besonders angenehmen Alter. Es ist irgendwie undefinierbar. Irgendwie zwischen Jung und Alt, nicht Fisch und nicht Fleisch. Irgendwie irgendwo auf der Lebenslinie, von der man sagt, dass sie sich im Alter immer mehr krümmt, um schließlich in sich selbst zurückzukehren, dann, wenn man alterskindisch wird.
    Ehemals praktizierender Psychologe, arbeite ich seit einigen Jahren als Sonderermittler bei der Groninger Polizei. Immer dann, wenn Landsleute im Ausland in kriminelle Handlungen verwickelt werden und die örtlichen Ermittler Probleme mit ihrer Arbeit haben, komme ich zum Einsatz. Es ist meine Aufgabe, mich an den Ort des Geschehens zu begeben, um außerhalb der häufig undurchschaubaren Ritualen folgenden und lokalen bürokratischen Konventionen unterliegenden Ermittlungen mein Glück zu versuchen. Ich reise also viel, wenn auch nicht aus jener erwähnten inneren Rastlosigkeit des heiligen Hieronymus, sondern aus beruflichen Gründen, die häufig wenig ersprießlich sind. Aber wo ich auch bin, ich habe mein Gehäuse dabei, mein Haus, mein Zimmer, das allerdings nicht so lichtdurchflutet ist wie das Gehäus' des heiligen Hieronymus auf Dürers Stich, und das auch nicht wie bei Dürer von einem schlafenden Löwen bewacht wird, dem Wappentier des großen Gelehrten. Mein Wappentier ist eher die Schnecke. Mein Gehäus' ist mein Charakter, in dem es eine dunkle, gewundene Treppe gibt, die hinab ins Unbewusste führt. Ich habe es immer bei mir, denn ich trage es auf dem Rücken. Wenn Gefahr droht, weniger im physischen Sinne, sondern durch gefühlsmäßige Ansprüche der Umwelt, ziehe ich gewöhnlich die Fühler ein und verschwinde über die Wendeltreppe meines Schneckenhauses tief in mich hinein. Ich habe nämlich eine Weichtiernatur. Dazu passt auch die von mir bevorzugte Untersuchungsmethode: hartnäckige, gezielte Passivität. Übrigens nicht zu verwechseln mit Untätigkeit! Ich vergleiche mich gerne mit einem Wünschelrutengänger, der sich auf nichts anderes zu konzentrieren hat als auf eine möglichst lockere, unverkrampfte Haltung seiner Hände. Sie sollen die Rute in einem labilen Spannungszustand halten, um sie so reaktionsfähig auf eventuelle Wasseradern im Boden zu machen. Nur geht es in meinem Fall weniger um die Motorik von Muskeln und Gelenken als um Verstand und Beobachtungsgabe. Doch auch sie müssen unverkrampft sein, einen labilen Spannungszustand zwischen Kalkül und Fantasie

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