Rom kann sehr heiss sein
Karte mit seiner Adresse zu und fuhr davon mit stolz erhobenem Haupt, gefolgt von seiner Tochter auf dem Minipedersen. Ich aber ahnte nicht, wie wichtig diese Begegnung noch für mich werden sollte.
Das Müllmädchen und ich gingen spazieren, zweimal um die ganze Tiberinsel. Wir hielten uns an den Händen, und als wir zum dritten Mal auf der Betonspitze der Tiberinsel standen, die die Jadeströmung des Flusses teilte, küsste sie mich auf den Mund.
Nina, so hieß meine neue Freundin, war für mich ein Rätsel. Sie war sehr fromm, ging häufig in die Kirche, um zu beten und zu beichten, meistens, nachdem sie ihren Job als Müllfrau hinter sich hatte. Sie war zugleich sehr frei in ihren Ansichten. So hatte sie nichts dagegen, mit mir ins Bett zu gehen, nachdem ich eine Reihe von Prüfungen hatte über mich ergehen lassen. Ich musste mit ihr in einen Film mit Dustin Hofmann gehen, den sie sehr verehrte, und anschließend in eine Diskothek. Außerdem nahm sie mich in mehrere Kirchen mit. Sie zeigte mir, wie man sich mit dem Weihwasser die Stirn betupfte und das Kreuz so schlug, dass es nicht gespielt aussah. »Ich bin schwanger«, sagte sie eines Abends, nachdem sie in einem Café an der Piazza Navona Unmengen Eis gegessen hatte, und deutete auf ihren sich flach vorwölbenden Bauch. »Ich bin im fünften Monat.« Ich war verwirrt. Später, in meiner Wohnung, zog sie sich aus und begab sich ins Bett. »Ich will, dass du mit mir schläfst. Das macht die Sache für mich leichter!«
»Die Sache? Welche Sache!«
»Das Kind natürlich. Es wird ein Mensch wie jeder andere sein. Es kann nichts dafür, wie es entstanden ist.«
»Gegen deinen Willen?«
»Nein. Man hat mich dafür bezahlt.«
»Und der Vater?«
»Es gibt keinen Vater, jedenfalls keinen natürlichen.« Sie begann zu lachen, als sie mein verdutztes Gesicht sah. »Reden wir nicht mehr davon. Komm her, wir warten auf dich.«
Ich benahm mich in dieser Zeit wie ein Mensch, dem man die eigene Meinung genommen hat. Mein Innenleben war nicht viel komplizierter als die Füllung einer Puppe. Verschlungen zwar, aber ziemlich homogen. So kam es mir jedenfalls vor. Ich vermied es, an Dale zu denken. Ich glaube heute, dass Tusas Vermutung, Dale habe mich wegen eines anderen Mannes verlassen, von mir Besitz ergriffen hatte. Vielleicht spielte hierbei auch eine Rolle, dass mein Vater meine Mutter aus dem gleichen Grund verlassen hatte. Wenn ich nun meinerseits Dale betrog, dann war dies nichts anderes als Nachahmung und ausgleichende Ungerechtigkeit. Doch eigentlich betrog ich sie gar nicht. Ich hatte eher das seltsame Gefühl, über den Umweg Nina Dale nahe zu sein.
Nina nahm mich häufig mit in ihr Stammlokal, eine Szenekneipe in der Altstadt, die voll von langbeinigen, mondänen jungen Leuten war. Ich kam mir hier ziemlich deplatziert vor, aber da ich sehr groß bin, schien man mich zu akzeptieren. Ich hatte bald den Spitznamen Flying Dutchman. Nina machte kein Hehl daraus, dass ich ein transitorischer Liebhaber war, nichts für länger. Sie studierte Kunstgeschichte und betrieb ihren Nebenjob, um ihre Kleidung und ihre Kosmetik zu finanzieren.
Nina überredete mich, mit ihr in den Petersdom zu gehen. Ich hatte ihn bisher gemieden, ohne dass ich mir über die Gründe klar war. Es war ein schrecklich heißer Tag. Nina trug einen kurzen Rock, weshalb der Ordner mit der Armbinde, der vor einem der großen Portale des Domes die Bekleidung der Besucher taxierte, uns nicht hineinlassen wollte. Nina empörte sich. »Alles nur, weil mein Knie zu sehen ist. Aber dass viele Frauen hier tief dekolletiert sind, das stört sie nicht. Ist diese Männerwelt nicht schrecklich? Hat Eva im Paradies etwa lange Röcke oder Hosen getragen? Das Knie ist eben für die katholische Kirche der unanständigste Körperteil einer Frau. Verstehst du das, Piet? Vielleicht, weil man beim Kniefall gegen die innere Moral verstößt!«
Ich liebte sie, wenn sie sich in dieser Weise empörte. Wir versuchten es an einem anderen Portal, und diesmal ließ man uns durch.
Inbrünstige Dämmerung umfing uns. Das Innere des Petersdoms ist eine einzige, aus Kerzenschimmer, poliertem Marmor, Goldfarben und verwirrenden Perspektiven komponierte Stimmung. Hier gibt es keine Gefühle, keine Gedanken, nur Andacht ist möglich. Man spürt die eigene Kleinheit körperlich und gibt sich demütig dem Strom der Menschen hin. Ich kenne keinen anderen Raum, der so hypnotisch wirkt. Nina bahnte sich einen Weg durch die
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