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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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Menge, der geradewegs zur berühmten Pietà von Michelangelo führte. Seit einem Attentat befindet sich die Skulptur hinter einer dicken Glasscheibe, und dennoch war ich überrascht, welches Leben, welche intime Nähe von ihr ausging. Maria, ein bildschönes, sinnliches Weib, das ihren gleichaltrig wirkenden Sohn wie einen von der Liebe ermatteten Beischläfer im Schoß hielt. Ein rosa Schimmer lag auf dem glatt polierten Marmor und verlieh ihm das Leben menschlicher, durchbluteter Haut. »Wie hat er das machen dürfen«, flüsterte ich. »Das ist ja Pornografie auf höchster Ebene.«
    Als wir wieder draußen waren, empfing uns die Wirklichkeit wie ein Schock. Blendende Helle. Gnadenloses Licht. Man kam sich allein dadurch sündig vor, dass man seiner Wege ging. Nina wirkte distanziert. Sie hatte es plötzlich eilig. »Wir sehen uns morgen, Piet«, sagte sie. »Um drei Uhr auf der Tiberinsel.«

4. Das Wiedersehen

    Bei einer unserer häufigen Umrundungen der Tiberinsel fiel mir ein alter Mann auf, der uns aus einem der oberen Fenster des großen Gebäudes nachsah, das fast den ganzen vorderen Teil der Insel einnahm. Er hatte graue Locken und ein rosiges Gesicht. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Das Gebäude war ein Krankenhaus, und der Mann war offensichtlich ein Patient. Als wir wieder einmal unter seinem Fenster vorbeikamen, rief er uns etwas nach. Nina war wütend. »Dieses Schwein«, sagte sie. »Er macht sich über uns lustig.«
    »Was hat er denn gesagt?«
    »Etwas Unanständiges. Ich will es nicht wiederholen.«
    Wir gingen nach Hause zu mir, aber diesmal wollte sie nicht mit mir ins Bett. Ein Ritual, das sie sonst fast sorgfältig ausführte, als sei es Teil einer Messe des Lebens. Als sie ging, küsste sie mich auf die Stirn, so wie man es mit einem Kranken macht. Zurück von ihr blieb nur der intensive Geruch ihres Parfüms.
    Ich fühlte mich allein, verlassen, gekränkt. Plötzlich hatte ich eine Eingebung. Ich schlug das zerfledderte Telefonbuch auf und blätterte die Seiten mit »H« auf. Ich blätterte so lange, bis ich die Seite fand. Meine Augen tränten, sodass die Namen zerflossen. Mein Finger fuhr die H's entlang und landete schließlich bei einem Namen, den hier zu finden ich nie gewagt hätte: Hieronymus. Dick Hieronymus. Daneben eine Nummer. Kein Straßenname. Ich wählte die Nummer und registrierte dabei, wie sehr meine Hand zitterte. Würde ich jetzt in wenigen Augenblicken die Stimme meines Erzeugers hören? Zum ersten Mal bewusst? Ich ertappte mich bei der Vorstellung, Gott anzurufen. Und was sollte ich sagen? Sollte ich einfach sagen, hallo, hier ist dein Sohn? Warum hast du mich verlassen?
    Der Wählton dauerte immer noch an. Würde Gott abheben? Oder glänzte er wie so oft in der Geschichte der Menschheit durch Abwesenheit? Dann plötzlich eine Stimme, die pronto sagte. Sie war weiblich. Ich stammelte meinen Namen und sagte auf Englisch, dann in gebrochenem Italienisch, dass ich ein Verwandter des Mannes sei, dessen Nummer ich angerufen hätte: »Pietro Hieronymus?«, fragte die Frauenstimme.
    »Ja«, sagte ich. »Pietro Hieronymus am Apparat. Ich bin ein enger Verwandter von Dick Hieronymus.« Sie lachte in die Muschel. Es klang, als ob jemand eine Flüssigkeit in einen engen Trichter schüttet. Es gluckste, gurgelte, dann war Stille. »Er ist im Krankenhaus«, sagte sie. Jetzt sprach sie ein ziemlich passables Englisch. »He is in hospital, he is very ill. I hope he will die soon. I never want to see him again. He is a damned fucking pig.« Ich fragte nach dem Namen des Krankenhauses und bedankte mich für die Auskunft. Dann legte ich auf.
    Das Hospital, das sie mir genannt hatte, war das Krankenhaus San Bartolomeo auf der Tiberinsel, ein ehemaliges Kloster, das immer noch dem Orden der Fatebenefratelli gehörte. Die Tiberinsel war schon bei den Römern ein Ort der Kranken gewesen. Einst stand dort ein Äskulaptempel, im 17. Jahrhundert isolierte man hier die Pestkranken, heute wohnen die Kranken in den historischen Mauern, sterben hier, werden in kühlen Kellerräumen obduziert, während draußen die Liebespaare das Inselufer bevölkern. Ja, die Tiberinsel war eine komplette Welt im Kleinen, ein Narrenschiff, das die Fluten des Tibers teilte, ohne dabei vom Fleck zu kommen.
    Ich fuhr mit dem Taxi hin. Ich hatte ein seltsames Gefühl. Ich musste an den Mann am Fenster denken, an sein rosa Gesicht, und ich hatte immer noch jenes »he is a damned fucking pig« im Ohr. Hatte mich etwa

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