Rom kann sehr heiss sein
»Deine Geliebte wird eine vorzügliche Tarnung sein.«
»Übertreibst du nicht mit deiner Beschatterthese?«
»Übertreibung ist das Aphrodisiakum der Wahrheit.«
Einar war heute nicht zu schlagen. Wir verließen das Café und gingen in verschiedene Richtungen, wie vom Fallbeil der Hitze draußen getrennt.
Wir trafen uns wie vereinbart um acht. Nina hatte einigen Aufwand betrieben, um ihre äußere Erscheinung zu optimieren. Für meinen Geschmack hatte sie ihre natürliche Schönheit damit eher kaschiert. Ihre Bluse war tief dekolletiert. Im Grübchen zwischen ihren Brüsten ruhte ein goldenes Kruzifix. Am auffälligsten aber war die Veränderung ihrer Haare. Sie waren hellrot gefärbt und kräuselten sich zu einem Meer künstlicher Locken. Sie hatte es fertig gebracht, wie eine heilige Nutte auszusehen oder besser, wie eine nuttige Heilige. Einar verschlang sie geradezu mit Blicken. »Sie versucht, glaube ich, wie eine Schottin auszusehen«, flüsterte er mir zu.
Mein Freund machte den Führer. Wir durchstreiften das Viertel des Campo dei Fiori, das »Blumenviertel«, das an den Tiber grenzt. Die vielen Renaissancefassaden erinnerten daran, dass dieser Stadtteil im 16. Jahrhundert ein bevorzugtes Wohnviertel der reichen Römer war, und auch jetzt noch herrschte hier eine heitere Stimmung, die einen Kontrast zu der düsteren Altstadt auf der anderen Seite des Corso Vittorio Emanuele II bildete, wo meine Wohnung lag. Einar erklärte Nina und mir in seinem offenbar während der Ehe erworbenen hölzernen Italienisch Details der Gebäude, der Fassaden und Innenhöfe, der zahlreichen Brunnenfiguren. Er trug ein blau-weiß gestreiftes Hemd und einen hellen Sommeranzug aus Leinen. Sein gerötetes Gesicht glänzte voller Selbstvertrauen. Er sah aus wie ein nordischer Faun. Wollte er Nina imponieren? Sicherlich konnte er sich ihrer weiblichen Ausstrahlung nicht entziehen, die sie zumindest an diesem Tag in einem Ausmaß hatte, dass ich mich erneut in sie verliebte.
Nina war auf ihren verschiedenen Mülltouren vermutlich auch in diesem Viertel gewesen, doch sie tat jetzt zumindest so, als sehe sie durch Einars Erklärungen alles neu. Auf der Piazza Farnese verharrten wir und betrachteten die eindrucksvollen Fassade des imposanten gleichnamigen Palazzos. Einar erläuterte. »Michelangelo hat als junger Mann an der Architektur dieses Idealbildes aller späteren Renaissancepaläste mitgearbeitet. Ich kenne keine einzige Fassade, die ausgewogener ist. Ein Wunderwerk der Harmonie. Kein Geringerer als Michelangelo war eine Weile der Architekt, und er hatte Großes vor. Er wollte von diesem Palazzo aus eine Brücke über den Tiber schlagen zu den auf der anderen Flussseite befindlichen Gärten, wollte so den Fluss einbinden in ein architektonisches Gesamtkunstwerk. Aus dem Plan wurde nichts, doch auf der Rückseite des Palazzos gibt es ein Relikt: den ersten Bogen der Brücke, die im Nichts endet. Kommt, wir sehen ihn uns an.«
Nina starrte das steinerne Gebilde an, ein Fragment von außergewöhnlicher Eleganz. »Eine Brücke ins Nichts«, sagte sie. »Wie schön ist das. Man möchte am liebsten hinübergehen.« Einar warf mir einen schwer zu deutenden Blick zu. Dann zeigte er auf die nahe gelegene Fassade einer kleinen Kirche. »Santa Maria dell' Orazione e Morte«, sagte er. »Ein Bauwerk, das ganz dem Fest des Todes gewidmet ist. Ein Stundenglas über dem Eingang. Daneben zwei geflügelte Totenköpfe. Schaut sie euch an. Diese aufgerissenen Münder mit den grässlichen Zahnlücken, das scheint Fressgier auszudrücken, aber auch Entsetzen über das eigene Tun. Und hier eine Marmortafel mit dem eingemeißelten Tod, auf dem Lager eines Sterbenden sitzend, der halb aus dem Bett gefallen ist. Die leeren Augen des Todesengels blicken ihn an voller Mitleid und Güte. Ich habe nie einen derart bekümmerten Tod gesehen. Die ausgestreckte Knochenhand hält einen Vogel, ein Wesen, das vielleicht die menschliche Seele symbolisiert.«
Ein Seitenblick auf Nina zeigte mir, dass sie beeindruckt war. Der warme Schimmer ihrer Gesichtshaut schien zu erkalten. Ihre vollen, sinnlichen Lippen verzogen sich voller Ekel. »Der Tod ist ein Barbar«, sagte sie. »Er hat keinen Sinn für das Schöne. Er macht alles kaputt wie ein ungezogenes Kind. Ich hasse ihn.«
Dann drehte sie sich um und ging in Richtung Piazza Farnese. Wir folgten ihr in einem gewissen Abstand, ganz so, wie es Papagalli zu tun pflegen.
Der Palazzo Spada liegt unweit des
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