Rom kann sehr heiss sein
er wäre nie geboren.«
»Sprechen Sie von Ihrem Vater? Das wäre dann eine klassische Konstellation der Widersprüche. Nichts Ungewöhnliches. Söhne sind in der Regel so. Sie hassen den Vater, und sie lieben ihn, und aus dieser Ambivalenz kommen sie nie heraus, solange ihr Erzeuger lebt. Der Grund dürfte Ihnen als Psychologe vertraut sein. Söhne sind immer selbst so etwas wie unreife Väter, zuweilen deren Karikaturen. Das ist die traurige Wahrheit. Erst wenn die Väter sterben, verwandeln sich die Karikaturen in neue Väter. So geht es ewig weiter. Die Tragik dabei ist, dass die Väter gegen Ende ihres Lebens zur Kindlichkeit neigen. Sie wollen sich dem Sohn gegen dessen Willen unterwerfen. Der ödipale Krieg ist ein Zweifrontenkrieg, aber das wissen Sie wahrscheinlich besser als ich.«
»Woher wissen Sie, was für einen Beruf ich hatte?«
»Von Ihrem Vater natürlich. Er redet mit mir über zweierlei am liebsten, über Genforschung und über seinen Sohn.« Er sah nachdenklich zum Fenster hinaus. Man hatte von seinem Schreibtisch aus einen herrlichen Blick tiberaufwärts. Im Hintergrund erhob sich die Kuppel des Petersdoms. »Sagt Ihnen übrigens der Begriff des genomischen Imprintings etwas?«
Er sah mich lauernd an. Seine schmalen Lippen formten ein attraktives Lächeln. Wollte er mich prüfen, mein Wissen über Gentechnik ergründen?
»Ich habe diesen Terminus schon gehört«, sagte ich. »Hat er nicht etwas mit der geschlechtsspezifischen Weitergabe von Genen zu tun?«
»Sie drücken sich fachlich ziemlich exakt aus, Doktor Hieronymus. In der Tat scheint es eine Prägung von Genen zu geben, je nachdem ob sie vom Vater oder von der Mutter vererbt werden. Die gleichen Gene verhalten sich je nach ihrer geschlechtlichen Herkunft unterschiedlich. Deshalb ist es wichtig, dass ein Mensch sexuell gezeugt wird. Sonst fehlen dem Embryo wesentliche genetische Informationen. Er verkümmert, stirbt ab. Leider ist es so, bislang jedenfalls, sonst wäre Parthenogenese, Jungfernzeugung, beim Menschen kein Problem. Was für feministische Kreise eine wahre Revolution wäre.« Er lächelte und begann auf einem Zeichenblock lauter kleine Kreise zu malen, die er anschließend mit nach rechts oben gerichteten Pfeilen und nach unten gerichteten Kreuzen versah.
»Wir leben in einer Männerwelt, aber das männliche Erbgut ist schwächer. Es enthält mehr schädliche Faktoren. Denken Sie an die Huntington-Chorea, eine schreckliche Nervenkrankheit, die früher und in schlimmerer Form ausbricht, wenn sie über die männliche statt über die weibliche Linie vererbt wird, obwohl es sich um das gleiche dominante Gen handelt.«
Er lehnte sich zurück und lächelte konziliant. Seine schmalgliedrigen Finger spielten mit einer Onyxkugel.
»Das genomische Imprinting, lieber Doktor, ist eine späte Widerlegung der von Mendel behaupteten Äquivalenz männlicher und weiblicher Gene und eine Bestätigung der mittelalterlichen Vorstellung, dass Männer und Frauen unterschiedliche Wesen, ja, Rassen sind. Lange hielt man Frauen für Tiere, wissen Sie. Die Meinung war sehr verbreitet, dass die Erbmerkmale ausschließlich vom Samen weitergegeben werden und das Ei nur ein Nahrungsdepot darstellt. In Wirklichkeit ist es fast umgekehrt. Der Samen ist dem Ei unterlegen. Es schmerzt mich ein wenig, dies als Mann konstatieren zu müssen. Wir sind, was das Genom anbelangt, die minderwertigere Spezies. Sollte es je zu einer erfolgreichen Jungfernzeugung bei Säugetieren kommen, müsste man das genomische Imprinting ausschalten, oder besser noch, man müsste die männliche Prägung nachträglich in eine weibliche Kombination von Kern und Eizelle einbringen. Noch hat dies meines Wissens niemand geschafft.«
»Aber HUBRO arbeitet an der Lösung dieses Problems.« Mein Einwurf war ein plumper Versuch, ihn zu überrumpeln. Doch Falsini ließ sich nicht aus der Reserve locken. Sein Gesicht drückte nichts aus, nicht einmal Überraschung. »Sie meinen sicher HUGO. Die Human Genom Organization. Dieses genauso gewaltige wie umstrittene internationale Projekt, das sich zur Aufgabe gemacht hat, das komplette menschliche Genom zu enträtseln. Sämtliche Krankheiten, Begabungen, Eigenschaften des Menschen verschlüsselt als eine lange Skala variierender Basensequenzen aus den vier im Chromosom enthaltenen Basen.«
»Haben sie nicht die Abkürzungen A, T, C und G?«
»Ja, für Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Aus diesen vier Buchstaben bildet das menschliche
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