Rom kann sehr heiss sein
Die Kirche ist vor allem gegen Sexualität. Das Klonen wäre da vielleicht ganz in ihrem Sinne. Klonen heißt ja nichts anderes als nichtsexuelle Vermehrung. Man könnte, wenn man wollte, den Zölibat mit Kinderkriegen kombinieren. Ein fantastischer Gedanke, finden Sie nicht? Männliche Parthenogenese. Der Papst pflanzt sich selber fort. Das Papsttum wäre endlich erblich und damit eine autarke politische Macht. Die Geschichte wäre anders gelaufen, wenn diese Möglichkeit bereits vor einigen hundert Jahren bestanden hätte. Stellen Sie sich vor: eine neue Art von Unsterblichkeit. Wir wären außerdem sehr viel Intrigen los, die im Zusammenhang mit der Papstwahl stehen, wenn wir ein zölibatäres, erbliches Papsttum hätten.«
Ich hörte Falsini interessiert zu. Plötzlich spürte ich überdeutlich, was dieser Mann mir voraus hatte. Er zweifelte nicht an sich. Er verfügte vermutlich über enorme Energien, die ihn befähigten, seine Ziele gegen alle Widerstände durchzusetzen, vielleicht auch in den Randbereichen der Legalität.
»Aber darf der Zweck denn alle Mittel heiligen?«, fragte ich.
Wieder dieses amüsierte Lächeln. »Ich halte nichts von sophistischen Diskussionen. Sie sind primitiv und entstammen einer Zeit, in der man Zweck und Mittel begrifflich zu sehr getrennt hat. Als Naturwissenschaftler weise ich darauf hin, dass im Mittel der Zweck als Komponente enthalten ist und umgekehrt. Es gibt keine kausale Rangordnung, deshalb kann auch der Zweck die Mittel nicht heiligen. Ich würde lieber sagen, der Zweck
sind
die Mittel. Aber hören Sie mir überhaupt noch zu?«
Ich war in der Tat schon länger wie paralysiert. Lag es daran, dass Falsinis Stimme monoton war wie die eines Hypnotiseurs? Ich hatte mich während Falsinis Äußerungen umgesehen, und mein schweifender Blick war an einer großen Kinderpuppe hängen geblieben, die in einem Glasschrank hinter Falsinis Arbeitsplatz saß. Er bemerkte meinen Blick, drehte sich um, holte die Puppe heraus und legte sie vor sich auf den Schreibtisch. Sie schloss ihre großen, blauen Augen und seufzte »Mama«. Ihre lockigen Haare waren hennarot.
»Sie werden es kaum glauben«, sagte Falsini. »Aber man konsultiert mich häufig als Puppendoktor. Es ist eine Art Hobby von mir geworden. Eine angenehme Erholung von der anstrengenden Arbeit an Menschen. Sehen Sie, diese junge Dame hier hat eine Hernie, genauer gesagt, eine Hernia umbilicalis, auch Nabelbruch genannt.« Er zog den Rock der Puppe hoch und legte den Bauch frei. Holzwolle drang durch ein Loch in Höhe des Bauchnabels. »Er wird mit ein paar Nadelstichen leicht zu schließen sein«, sagte er und setzte die Puppe in den Glaskasten zurück.
Vielleicht wäre dies der richtige Moment gewesen, den Metallstreifen ins Spiel zu bringen, aber etwas hielt mich davon zurück, Falsini unter Druck zu setzen. Ich besann mich auf meine Prinzipien einer behutsamen Vorgehensweise, die Katze so lange um den heißen Brei herumschleichen zu lassen, bis er genügend abgekühlt war.
»Klonen, Parthenogenese, das hätte doch wohl ungeahnte Konsequenzen für die Menschheit. Zum Beispiel würden die alten Rollenschemata von Müttern, Vätern, Kindern wenn nicht wegfallen, so doch erheblich geschwächt. Wäre das ein Vorteil ihrer Meinung nach?«
»Väter bleiben Väter, auch wenn ihre Kinder in vitro gezeugt werden und sie ihre ersten Lebensmonate in künstlichen Gebärmüttern zubringen. Die Vaterrolle ist eine virtuelle Projektion der Söhne. Sie sehen es doch an sich selbst, wie sehr sie ihren Vater lieben, verehren, ohne mit ihm je wirklich zusammengelebt zu haben. Gewiss, die Freudsche Theorie müsste stark revidiert werden, stärker jedenfalls als die Theologie. Der Kirche geht es letztlich um die Glaubwürdigkeit des Glaubens. Das sind keine Spinner. Das sind Realpolitiker. Nur ein Beispiel. In den Achtzigerjahren tagte in Rom eine Gruppe von Kosmologen, die vom Vatikan beauftragt war, die modernen naturwissenschaftlichen Thesen mit der biblischen Genesis zu vergleichen. Der Vatikan beschloss auf Grund des Gutachtens, den Urknall theologisch zu akzeptieren. Das war klug. Die Theologie wird sich in Bezug auf die Gentechnik als ähnlich anpassungsfähig erweisen. Aber ich schweife ab. Was möchten Sie noch wissen, Doktor Hieronymus? Für einen Psychologen sind Sie ziemlich neugierig. Ich fürchte, Ihr zweiter Beruf ist dominant. Obwohl man Sie bei Ihrer Behörde entlassen hat.«
»Sie sind erstaunlich gut informiert. Ich
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