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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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denn die Schattengrenze wanderte immer näher, und das Blau über mir verwandelte sich an einer bestimmten Stelle: Es sah aus, als flösse dort glühendes Erz über den Rand eines riesigen Tiegels.
    Die Schattengrenze kroch an mir hoch und über mich hinweg. Es war, als zöge man ein Leinentuch beiseite, um den toten Körper darunter zu obduzieren. Die Sonne erschien über den Dachziegeln wie die Flamme eines Schweißbrenners, in die man nicht hineinsehen darf, um die Netzhaut nicht zu zerstören. Ich schloss die Augen. Durch die Lider hindurch brannte die Helligkeit wie durch einen Rotfilter. Ich war auf dem Scheiterhaufen gelandet. Ein Autodafé. Die Hitze wurde immer schlimmer. Sollte ich tatsächlich verbrannt werden wie ein Ketzer? Warum half mir niemand? Man musste mich doch von einem dieser vielen Balkone aus sehen können! Ich öffnete meine Augen zu schmalen Schlitzen und versuchte, meine Umgebung wahrzunehmen. Soweit ich feststellen konnte, lag ich mit nacktem Oberkörper gefesselt zwischen lauter Sperrmüll, Kisten und kaputten Möbelstücken. Am schlimmsten war, dass ich meinen Kopf kaum bewegen konnte. Irgendetwas hielt ihn fest, als habe man meinen Schädel eingegipst. Obwohl mein Gesichtsfeld begrenzt war, gelang es mir, durch Rollen der Augen zu erkennen, dass neben mir noch andere Menschen lagen, die meisten von ihnen nackt. Auch sie waren dieser mörderischen Sonne ausgesetzt. Warum rührten sie sich nicht? Waren sie bereits tot? Endlich begriff ich: Es waren Schaufensterpuppen, die meisten von ihnen demoliert, einigen fehlten Gliedmaßen. Das war der Grund, warum mir niemand half! Auch jene Frau dort, die sich gerade über einige halb vertrocknete Pflanzen beugte und sie aus einer kleinen grünen Kanne goss, musste mich für eine dieser Puppen halten.
    Ich spürte, wie Schweißtropfen an meiner Seite herabrannen. Meine Haut schien Feuer gefangen zu haben. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich abschälte, sich wellte, dass die Flammen sie zerfraßen wie dünnes Papier. Ich glaube, ich war kurz davor, die Besinnung zu verlieren. Da hörte ich eine Stimme wie aus weiter Ferne und dennoch ganz nahe an meinem Ohr. Sie sagte immer wieder die gleichen, italienischen Worte, die so süß klangen wie eine Liebeserklärung: »Povero pollastrello mallato, povero pollastrello mallato.« Tröstlicheres hatte ich noch nie in meinem Leben gehört. »Armes krankes Hühnchen.« Es war ein Kind, ein kleines, blasses, blondes Mädchen, das sich über mich beugte und diesen Singsang von sich gab. Sie hatte offenbar mit den großen Puppen gespielt und mich dabei gefunden. Ihr Gesicht war dreckverschmiert, ihre Haare zerzaust und ihre Finger, mit denen sie mich streichelte, voller Schmutz. Ich musste sie so flehend angesehen haben, dass sie begriff, wie sehr ich Hilfe nötig hatte. Sie machte sich an dem Pflaster zu schaffen, mit dem man meinen Mund verklebt hatte, und schließlich gelang es ihr, es abzuziehen. Das Röcheln, dass sich mir entrang, erschreckte mich selbst. »Povero pollastrello mallato«, sagte sie noch einmal. Dann rannte sie davon, während ich um Hilfe rief. Überall auf den Balkonen und an den Fenstern zeigten sich Menschen. Und es dauerte nicht mehr lang, bis jemand herunterkam und mich aus meiner Lage befreite. Man trug mich in den Schatten. Eine Frau, ich glaube, es war die, die ihre Blumen gegossen hatte, leerte einen Eimer mit kaltem Wasser über mich aus. Schließlich half man mir auf. Ich musste mich übergeben.
    Wenig später saß ich in einem abgedunkelten Raum. Verschiedene Menschen waren in ihm wie schwarze Schatten. Fast alles ältere Frauen. Eine von ihnen rieb meine Haut vorsichtig mit einem Öl ein. Dem Geruch nach war es Olivenöl. Jemand fragte mich, ob man die Polizei holen solle. »Nein«, sagte ich. »Bitte nicht. Es geht schon wieder.«
    Es musste eine Gegend sein, in der man für meine Bitte Verständnis hatte, denn kein Carabinieri erschien. Man bettete mich auf ein Sofa und gab mir Wasser zu trinken, immer wieder füllte man das Glas nach. Als die Schmerzen kamen und ich zu jammern begann, gab man mir Tabletten. Irgendwann musste ich eingeschlafen sein.
    Am nächsten Morgen erschien ein Arzt. Ein kleiner, dicker Mann mit einem goldenen Kneifer auf der Nase. Er ließ mich in einen Spiegel blicken. Mein Gesicht sah schrecklich aus. Eine rote, verquollene Maske voller Brandblasen. Auch auf meiner Brust löste sich Haut ab und füllte sich mit Lymphe. Mir war übel. »Sie haben eine

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