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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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schwere Dermatitis solaris«, sagte der Arzt. »Verbrennung zweiten Grades. Außerdem einen Sonnenstich. Sie müssen viel trinken. Am wichtigsten ist es, dafür zu sorgen, dass sie keine Infektion bekommen. Ich habe davon gehört, wie man sie gefunden hat. Wer auch immer sich diesen Scherz mit Ihnen erlaubt hat, er hat ihren möglichen Exitus dabei in Kauf genommen. Sie hätten die nächste Stunde kaum überlebt. Sie haben viel Glück gehabt, Signore.«
    »Eine Frage, Doktor. Warum habe ich meinen Kopf nicht bewegen können?«
    »Ihr Hinterkopf lag in einer Art Gipsschale und war mit einer klebrigen Substanz fixiert. Offensichtlich Arbeit eines Fachmannes, eines Chirurgen vielleicht, der komplizierte Kopfoperationen am lebenden Objekt beherrscht. Wir hatten einige Mühe, Sie loszueisen.«

12. Abschied II

    Eine Woche pflegte man mich in der kleinen Wohnung, in der es ständig nach Essen und Fäkalien roch, als ob hier die beiden Tätigkeiten der Nahrungsaufnahme und Nahrungsabgabe ohne Umweg über den Menschen ineinander übergingen. Ich lebte von Minestrone, Huhn und anderen Köstlichkeiten, die die Mama, wie alle zu ihr sagten, auf einem alten, rostigen, zweiflammigen Kocher zubereitete. Alle schliefen in einem Zimmer. Ich auf dem Sofa in der guten Stube. Mir gelang es die ganze Zeit über nicht, herauszubekommen, wer zur eigentlichen Familie gehörte. Sobald man die Schwelle zur Wohnung überschritt, schien man adoptiert zu sein.
    Der Arzt kam noch zweimal. Das kleine Mädchen, das mich gefunden hatte, besuchte mich jeden Tag. Sie hieß Pia. Leider nannte sie mich nun nicht mehr Pollastrello. Sie saß die meiste Zeit stumm auf einem Hocker mit hochgezogenen Beinen und betrachtete mich aus großen, blauen Augen. Ich versuchte, mit ihr zu reden, soweit es meine schmerzende Gesichtshaut zuließ. Aber ich schien sie mit jedem Wort nur zum Lachen zu bringen.
    Meine Haut begann sich zu pellen. Darunter kam neue, rosige Derma zum Vorschein. »Sie häuten sich wie eine Schlange«, sagte der kleine Arzt. »Das könnte ein Neubeginn sein. Manche glauben, dass die Haut der Sitz der Seele ist. Verliebte können das bestätigen.«
    Als ich so weit wiederhergestellt war, dass ich mich auf die Straße wagen konnte, kaufte ich für die Mama einen neuen Gasherd. Sie bekreuzigte sich, als man ihn brachte, und begann sofort zu kochen. Ich begriff, es war ihr Altar.
    Ich verabschiedete mich von allen und wurde dabei heftig umarmt und geküsst. Pia lief mir nach. In der zweiten Gasse, in der es von Menschen wimmelte, verlor ich sie aus den Augen.
    Ich rief Einar an und verabredete mich in einer Eisbar. Alles, was kühl war, hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. »Du siehst blendend aus«, sagte er. »Und zwar im wörtlichen Sinne. Du leuchtest wie ein Lampion. Ich glaube, sie wollten dich warnen, dich abschrecken. Wir müssen jetzt die Gangart verschärfen. Allzu viel Zeit haben wir nicht mehr. Geh zu Falsini. Sage ihm, Rom sei dir zu heiß geworden, sage ihm, dass du am liebsten bald abhauen würdest. Alles hinge nun davon ab, wie sich der Gesundheitszustand deines Vaters entwickeln würde.«
    Ich nahm meine Besuche im Krankenhaus wieder auf. Falsini war nicht da. Es hieß, er sei auf einem wichtigen Kongress in Amerika. Mein Vater kam mir verändert vor. Auf mein groteskes Aussehen ging er ganz gegen seine übliche Spottlust mit keinem Wort ein. Es war deutlich, er schickte sich an zu sterben. Er war am Ende eines langen Weges angekommen, der am Ufer eines tiefen Flusses endete. Das Wasser war schwarz wie Teer, Blätter, Baumsamen trieben auf ihm. Mein Vater kniete auf der Böschung und beugte sich vor. Ein kleiner Junge mit einem Totenschädel auf den Schultern. Er weinte aus leeren Augen, und die Tränen waren blau und verdampften an dem kochenden Wasser. Dann stand er auf, legte die Hände an den Mund und rief den Fährmann.
    In Wirklichkeit standen wir am Ufer der Tiberinsel. Er hatte seine Uniformjacke an und hielt sich an mir fest. Ich spürte, wie leicht er geworden war. »Komm, wir gehen nach vorne in den Bug«, sagte er. Seine Stimme klang verzerrt. Er lallte wie ein Betrunkener. Er hatte eine Nervenentzündung, die die Funktion seiner Zunge behinderte.
    Wir passierten einige junge, kaum bekleidete Damen, die auf dem Beton lagen und sich von der Sonne sieden ließen. »Das sind alles degenerierte Gebärmaschinen. Das Becken ist viel zu eng«, knurrte mein Vater. Ein heißer Wind wehte uns ins Gesicht. Das Tiberwasser

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