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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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durchdringen sich, bedingen sich gegenseitig, wie es erst wieder zu Zeiten der Bauhausarchitektur in Deutschland der Fall war.«
    »Das Kolosseum in Rom ist ein kreisförmiger Viadukt«, sagte ich. »Jemand hatte die Idee, Wasser im Kreise fließen zu lassen. So wie der Styx.«
    Flanagan gab mir die Hand. »Sie sind klug. Wir wollen uns beim Vornamen nennen. Ich heiße Bill«, sagte er.
    Flanagan war, wie er mir erzählte, unter Frauen aufgewachsen. Seine Mutter hatte sich früh von ihrem Mann getrennt und war mit ihrer Freundin zusammengezogen. »Beide waren extrem starke Persönlichkeiten«, sagte er. »Meine Mutter war die Stimme Amerikas zu Zeiten Mussolinis. Sie war Chefsprecherin bei der italienischen Sektion der Voice of America. Ich hatte nie einen Vater, habe ihn auch nie entbehrt. Der Freundeskreis meiner beiden weiblichen Eltern bestand hauptsächlich aus gleich gesinnten Frauen. Ich hatte einen gleichaltrigen Freund, auch er Sohn einer lesbischen Mutter. Wir beide waren hinter Mädchen her, und wir fragten uns deshalb, ob wir nicht pervers seien.«
    »Ich habe auch keinen Vater gehabt«, sagte ich. »Erst jetzt habe ich ihn, wo er tot ist.«
    Neben Bill Flanagan stand eine junge Frau, Amerikanerin, blond gefärbt, geschminkt, zurechtgemacht im Stile jener seltsamen künstlichen Weiblichkeit, wie sie häufig in den USA vorkommt. Die Frau als Sklavin, Krankenschwester, Kameradin und emanzipierte Freundin zugleich. Kein Chic, keine Eleganz, mädchenhafte Provinzialität gemischt mit altersloser Würde. Ein bisschen prüde, ein bisschen sexy, ein bisschen weltlich, ein bisschen fromm. »Das ist Alice, meine Lebensgefährtin«, sagte Flanagan. »Sie verwaltet meine schlechten Eigenschaften und meine zahlreichen Zipperlein. Ich finde, wir drei sollten uns anfreunden.«
    Wir versanken in Wolken von Gastfreundlichkeit. Von den Berghängen krochen Schwaden von Pinienduft und Rosmarin herab. Das Buffet wurde nach einer kurzen Ansprache Falsinis für eröffnet erklärt. Im großen Wohnzimmer drängten sich auf langen Tischen Köstlichkeiten italienischer Kochkunst. Einfaches aus der regionalen Küche neben barocken Ausgeburten von Raffinesse. Es war kein normales Fest. Ich hatte das Gefühl, an einer rituellen Feier teilzunehmen. Die Freundlichkeit, die zwischen allen Teilnehmern bestand, war ungewöhnlich. Auch Monsignore Tanner war da. Er war weltlich gekleidet und hielt sich im Hintergrund. Ich sah, dass er seinen Wein mit Wasser mischte.
    Ein Boutiquebesitzer aus Rom fiel mir auf, weil er mit seiner Augenklappe und seinem Schnurrbart aussah wie ein Pirat. Enrico Gonzaga entfachte gerade zusammen mit ihm ein großes Feuer auf dem Vorplatz, das die Gäste sofort genauso anzog wie die zahlreichen Nachtfalter.
    Die Falsinis waren vollkommene Gastgeber. Der Dottore ging von Gruppe zu Gruppe, regte immer wieder durch amüsante Bemerkungen die Gespräche an, wenn sie zu verstummen drohten. Seine Frau sorgte dafür, dass die Gläser ständig nachgefüllt wurden. Um mich kümmerte sie sich besonders reizend. Sie hakte mich unter, führte mich über das weitläufige Gelände ihres Besitzes, stellte mich vor und warb, wie mir schien, um meine Zuneigung.
    Die Stimmung stieg und stieg unterdessen wie ein großer nachthimmelfarbener Gasballon und nahm uns mit in einer Gondel des Wohlbefindens und der Ausgelassenheit. Ein spektakulärer Sternenhimmel krönte das Ereignis wie ein riesiger Baldachin. Aus verdeckten Lautsprechern erklang leise Musik. Händel, Scarlatti. Plötzlich sah ich einen Scheinwerfer auf der schmalen Straße, hörte ein Motorengeräusch, das immer näher kam. Eine Vespa wurde zwischen den parkenden Autos abgestellt. Es war Nina. Sie war mit einem jungen Mann gekommen. Hand in Hand näherten sie sich dem Lagerfeuer. Nina trug ihre Haare offen. Diesmal waren sie schwarz gefärbt. Ihre Augen glänzten. Mich beachtete sie nicht.
    Wenig später trafen weitere Motorroller ein. Alles junge Mädchen. Falsini bewegte sich unter ihnen wie ein Faun, oder besser, wie ein Harlekin. Enrico Gonzaga war umgeben von einer Gruppe junger Leute, die auf ihn einredeten. »Enrico, sei kein Feigling, spiel endlich.« Immer wieder dieser Satz. Schließlich holte Gonzaga seinen Gitarrenkoffer und öffnete ihn. Eine wunderschöne Laute kam zum Vorschein. Der Musiker setzte sich auf einen Stuhl und schloss die Augen, als ob er sich sammeln wollte. Es wurde still. Dann begannen die Töne des Instrumentes sich unter die Funken des

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