Rom kann sehr heiss sein
Feuers zu mischen, und wie getragen von ihrer aufsteigenden Strömung erhob sich die Stimme des Sängers, weich und dennoch strahlend, über den Kreis der Lauschenden.
Falsini stand plötzlich neben mir. »Das ist eine Canzona Ihres großen Landsmannes Agricola«, flüsterte er. »Er stammt aus Ihrer Heimatstadt Groningen. Der Text ist von Petrarca. Diese Stimme, hält sie nicht virtuos die Mitte zwischen männlichem und weiblichem Timbre?«
Ich erwiderte leise: »Sie verwechseln die beiden Agricolas, Alexander, den Musicus, der aus Flandern stammt, und Rudolf, den Philosophen und Rhetoriker aus Groningen, der übrigens eine Biografie Petrarcas geschrieben hat. Beide sind sie für die Renaissance gleich wichtig, aber der eine für die Töne, der andere für das Wort.«
Falsini legte seine Hand sanft auf meine Schulter. »Ich danke Ihnen, Doktor, für die freundliche Belehrung. Ich würde gerne mehr mit Ihnen reden.«
Wir gingen in das Wohnzimmer und setzten uns in große, weiche, tomatenrote Ledersessel. »Sehen Sie«, sagte Falsini und wies durch die offen stehende Tür auf die Terrasse voller Gäste, »ist dies nicht das Beste, was wir Menschen zu Wege bringen? Unaggressive Geselligkeit. Kiesel in einem Flussbett. Rund geschliffen von der Strömung der Menschlichkeit. Ich sage Ihnen, Doktor Hieronymus, die Evolution ist seltsamerweise in ihrem edelsten Produkt, dem Menschen, stehen geblieben. Die Dummheit einfacher Jäger und Sammler, deren Mentalität sich vor 30000 Jahren ausbildete, geht heutzutage eine Ehe ein mit den technischen Möglichkeiten der Moderne. Ekelhaft, immer noch der Neandertaler, aber statt Felszeichnungen Windows 2000. Wir sind leider Missgeburten, Chimären zwischen einer längst vergangenen Killermentalität und modernster Technologie. Die Gentechnik könnte hier sehr wohl Abhilfe schaffen. Die Idee der Eugenik ist im Kern richtig. Es gab bisher zwei Nationen, die ihr huldigten, Nazideutschland und die USA zu Anfang des Jahrhunderts. Die Grundidee war, minderwertiges Leben von der Fortpflanzung auszuschließen. Gezielte Züchtung sollte die Qualität des Erbgutes verbessern. Zwangssterilisation und staatlich organisierte Kuppelei waren damals die völlig unzulänglichen Methoden. Besonders grotesk aus heutiger Sicht: ausgerechnet die genetisch besten Rassen wurden verteufelt. Die Juden durch die Nazis und die Schwarzen durch die Amerikaner. Heute haben wir andere Kriterien. Vor allem nicht mehr solche der Hautfarbe oder der Schädelform, sondern echte Qualitätsmerkmale des Lebens. Denkfähigkeit statt der Herrschaft der Vorurteile. Erlebnisfähigkeit statt blinder Sexualität. Wir brauchen eine neue, eine aufgeklärte Eugenik. Sie wird sich durchsetzen, und das schon sehr bald. Wenn es möglich ist, genetisch bedingte Krankheiten schon beim Embryo durch Eingriffe in die Keimbahn auszumerzen, dann werden die ethischen Bedenken gegen diese Therapie schnell schwinden. Dies wird das Einfallstor sein für die moderne Genetik. Keimbahntherapie, nicht nur was Erbkrankheiten anbelangt, sondern als Fortsetzung der Schöpfungsgeschichte, an deren Ende ein neuer Mensch stehen wird, für den Aggressionen, Kriege, Gewalt, Vorurteile, Rassismus, Fundamentalismus, religiöser Wahn keinerlei, auch keine darwinistische, Legitimation mehr haben. All das sind für den neuen Menschen veraltete Formen der Vergeudung von Lebenskraft. Er ist kein Mitglied einer Herrenrasse, er ist auch kein seelenloser Computer. Er ist vielmehr die Verwirklichung des humanistischen Ideals eines kompletten Individuums, das mit Recht von sich wird sagen können: ›Ich lebe, also bin ich.‹ Das Recht des Stärkeren wird das Recht des Lebendigeren sein!«
Er erhob sich, ohne meine Meinung abgewartet zu haben, trat zu einem wunderschön gearbeiteten Schrank aus Vogelahorn, öffnete eine schmale Tür, entnahm dem Schrank eine Flasche und zwei kleine Kristallgläser. Er schenkte eine bernsteinfarbene Flüssigkeit ein und reichte mir ein Glas. »Probieren Sie, Doktor Hieronymus. Es ist ein Grappa aus eigener Herstellung. Sechs Jahre im Fass. Ich habe in meinen Kellern eine komplette kleine Destille. Nennen Sie es Hobby, für mich ist es mehr. Ausgleich für all das Hässliche, das Traurige, das ich in meinem Beruf tagtäglich erleben und verarbeiten muss.«
Ich glaubte noch nie so etwas getrunken zu haben. Es war noch eine Steigerung gegenüber dem Grappa, den ich bei Monsignore Tanner gekostet hatte. Ich war mir übrigens sicher,
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