Roman
Hochzeit engagiert wird, muss er einen Anzug anziehen.
Nein, er ist ganz bestimmt nicht schwul. Auch wenn er immer Aramis-Aftershave benutzt und ich mal irgendwo gelesen habe, dass Aramis das Lieblings-Aftershave von George Michael ist.
»Wohin willst du denn eigentlich?«, fragte er mich und begann, an einem Werkzeugteil zu drehen, das er an meinem platten Reifen befestigt hatte.
»Zum Flughafen nach Prestwick. Meinen Freund abholen. Er kommt heute Abend um neun aus Spanien zurück.«
Ich warf einen Blick auf die Uhr – noch zweieinhalb Stunden, bis er landete. Gut, dass ich vorher reichlich Zeit zugegeben hatte.
»Bist du sicher? Es ist ziemlich weit, und du hast doch gerade erst …«
»Ganz sicher«, unterbrach ich ihn lächelnd.
Es konnte keine Bedenken mehr geben, die seine Schwester und Lizzy noch nicht erwähnt hatten. Ich würde fahren. Ende der Diskussion.
»Warst du nicht mal mit Gary Collins zusammen?«, fragte er als Nächstes. »Er war in meinem Jahrgang. Keine Ahnung, was aus ihm geworden ist.«
Du lieber Gott, wurde das denn immer schlimmer? Meine Mitbewohnerinnen waren stinksauer auf mich. Ich hatte einen Platten. Mir war eiskalt. Meine Zehn-Zentimeter-Stilettos brachten mich fast um. Ich war gerade auf dem besten Weg, die romantischste Episode meines Lebens zu verpassen. Und nun …
»Er ist mit Rosaline Harper nach London gezogen.«
»Stimmt, jetzt erinnere ich mich wieder. Vor ungefähr zwei Jahren, oder?«
Exakt am 16. November 1986. Einen Tag nachdem ich ihm auf dem Rücksitz seines Autos meine Jungfräulichkeit geopfert hatte. Nicht mal eine Nachricht hatte er mir hinterlassen. Gary war zwar nicht wie Gingers Ex in ein Kriegsgebiet geflüchtet, trotzdem hoffte ich, dass jemand das Schwein erschoss. Tante Josie war dafür gewesen, ihn ausfindig zu machen und ihm die Genitalien zu amputieren. Sicherheitshalber hatte ich alle scharfen Instrumente versteckt, bis sie sich schließlich wieder beruhigte.
»Ja, so ähnlich«, antwortete ich lässig. Es hatte verdammt lange gedauert, bis ich in Bezug auf Gary wieder so cool tun konnte. Nicht, dass ich je auf Rache gesonnen hätte, aber eine Zeitlang hatte ich schon eine gewisse Verwandtschaft zu dieser Psychotante aus Eine verhängnisvolle Affäre verspürt.
Mit einem Ruck riss Red den kaputten Reifen herunter, setzte den Ersatzreifen auf und zog diese Schraubdinger wieder fest. Ich nahm mir vor, unbedingt mein technisches Vokabular aufzufrischen.
»Und wie läuft’s so mit der … eh … Fotografiererei? Muss echt cool sein, bei all den … eh … Hochzeitsfilmen, die die Leute heutzutage so machen.«
Vielleicht sollte ich auch einen Crashkurs in Fotografiefachausdrücken belegen.
»Ja, das ist super. Ich mach das zwar nur zur Aushilfe, solange ich an der Uni bin, aber ich kriege eine Menge Erfahrung. So, jetzt ist alles wieder okay. Du solltest zur Sicherheit am Montag mal kurz in der Werkstatt vorbeifahren und überprüfen lassen, ob der Reifen noch ausgewuchtet werden muss, aber es müsste auf jeden Fall erst mal funktionieren.«
»Danke, Red!«
Ich umarmte ihn. Dabei achtete ich streng darauf, dass keine Schmiere in die Nähe meines babyrosa Rocks samt weißem Shirt kam. Beides hatte ich mir von Lizzy geliehen – bevor ich ihr einen Strich durch ihre Abendplanung gemacht hatte.
»Gern geschehen. Ich hoffe, es klappt alles mit Charles.«
»Charlie.«
»Sorry, Charlie. Na ja, wie gesagt, ich hoffe, es klappt«, wiederholte er und warf das Werkzeug auf die Rückbank seines Wagens.
Kaum zu glauben, dass er und Ginger aus demselben Gen-Pool stammten. Er war so anständig, so sensibel und diskret. Ganz anders als Ginger, die permanent neue Weltrekorde in schonungsloser Offenheit aufstellte.
»Ginger sagt nämlich, dein Männergeschmack sei katastrophal.«
Jetzt erkannte ich doch eine gewisse Ähnlichkeit.
»Red, darf ich dich um einen Gefallen bitten? Ich meine, außer dass ich dich freitagabends habe herkommen lassen, um mich deiner Reifenwechselkünste zu bedienen.«
»Na klar.«
»Erzähl Ginger bitte nichts hiervon! Ich könnte es nicht ertragen, bis zum Ende meines Lebens ›Das hab ich dir ja gleich gesagt‹ von ihr zu hören.«
Ich rannte ins Terminal und studierte die riesige Anzeigetafel. Eine halbe Stunde! Das Flugzeug war vor einer halben Stunde gelandet! Mist! Mist! Mist! Aber er war doch sicher noch nicht durch die Absperrung gekommen. Schließlich musste er erst aus dem Flugzeug, sein Gepäck einsammeln und
Weitere Kostenlose Bücher