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Roman

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Titel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shari Low
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gleichzeitig passierten. Ginger stand nicht mehr neben mir. Leute schauten hinauf. Entsetzen. Schreie.
    Oh Gott, diese Schreie!

Lektion 89
    Es gibt Momente, da ist nicht wichtig, was du sagst, sondern was du tust
    Schlagzeile im Daily Record vom 18. November 2001: Musikmanagerin in Lebensgefahr. Absturz in Glasgower Toplocation.
    Die Zeitung hatte zwölf Tage lang in einer Zimmerecke gelegen. Die zwölf längsten Tage meines Lebens. Die ersten achtundvierzig Stunden waren voller hektischer Aktivität gewesen – Ärzte, Schwestern und Spezialisten waren auf der Intensivstation hin und her gelaufen.
    Anfangs gab es so viel zu sagen, so viel Geschäftigkeit, so viele Fragen, so viele Tränen, aber in den letzten Tagen war nur noch das Piepsen der Maschine zu hören gewesen, die ihren Herzschlag aufzeichnete.
    Jetzt wechselten wir uns ab – Ike, Red, Gingers Mum Moira und ich. Lizzy kam, sooft sie konnte. Immer nur zwei Personen durften gleichzeitig bei ihr sein, daher teilten wir Schichten ein. Ike und Moira. Red und ich.
    Die Ärzte sagten nicht viel. Zwei gebrochene Beine. Eine Armfraktur. Ein zerschmettertes Becken. Innere Blutungen. Eine Schwellung am Gehirn, die die Ärzte gezwungen hatte, sie ins künstliche Koma zu versetzen, um den Druck zu erleichtern. Die Infusion war seit dem Vortag abgesetzt. Jetzt war es ein Wartespiel. Es war reine Glückssache, wann sie aufwachen würde, ob sie aufwachen würde.
    Ein Schluchzer steckte in meiner Kehle, und ich zwang ihn wieder hinab. Solche Gedanken durfte ich gar nicht erst zulassen. Sie würde zurückkommen. Sie musste zurückkommen.
    Millionen Male hatte ich den Unfall in Gedanken durchgespielt. Wenn ich doch näher bei ihr gestanden wäre. Wenn ich doch nicht weggeschaut hätte. Wenn sie doch nicht diese blöden Stiefel angehabt hätte. Wenn sie doch jetzt nicht zwischen Leben und Tod hinge, wenn wir doch irgendwas tun könnten, um sie zurückzuholen … Wenn … wenn … wenn …
    Hinter mir öffnete sich die Tür, und einen kurzen Moment überlagerte der Duft von Kaffee den Geruch der Putzmittel. Wie die meisten Frauen ihrer Generation putzte Moira, wenn sie etwas belastete. Es gab keinen Quadratzentimeter im Raum, der nicht geschrubbt, poliert, desinfiziert war.
    Ich nahm Red den Kaffee aus der Hand. Er lächelte schwach. »Und?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nichts. Der Arzt war vor zehn Minuten hier. Er sagt immer das Gleiche: Die Brüche heilen, das Unwägbare sind die Kopfverletzungen. Sie können einfach keine Prognose geben.«
    Mit einem tiefen Seufzer zog Red sich den Stuhl auf die andere Seite des Betts und setzte sich. Wir saßen nun seit fast zwei Wochen hier; absurderweise war es zur Normalität geworden. Am Anfang hatten wir Ginger immer nur angeschaut, hatten starr vor Angst auf jedes kleinste Anzeichen für Hoffnung gewartet. Dann hatten wir geredet. Manchmal über blödsinnige Dinge, manchmal über wichtige Dinge. Zwischendurch lasen wir ihr vor, spielten ihr ihre Lieblingsmusik vor, erzählten ihr alberne Geschichten, die sie zum Lachen bringen sollten. Aber die meiste Zeit waren wir einfach nur bei ihr.
    Ohne ihre Hand loszulassen, legte ich den Kopf aufs Bett und schloss die Augen. Die Erschöpfung traf mich mit aller Macht. Am ersten Wochenende hatte ich rund um die Uhr an Gingers Bett gewacht; seither arbeitete ich tagsüber im Salon und fuhr nach Feierabend sofort ins Krankenhaus.
    »Hey!« Als ich den Kopf hob, fiel mir auf, dass Red ein anderes T-Shirt trug als noch vor einer Sekunde. »Du bist eingeschlafen«, sagte er leise.
    Warum redeten wir im Krankenhaus so leise? Wir waren doch bei Ginger – da sollten wir uns streiten, diskutieren, laut sein. Wir hatten schon gewitzelt, dass sie nur deshalb nicht aufwachte, weil wir so langweilig waren. Dieser Galgenhumor half uns über die schlimmsten Momente hinweg.
    Ich schaute auf die Uhr. Mitternacht. Oje, ich hatte zwei Stunden geschlafen. Eine schöne Aufpasserin war ich. Ich reckte mich und zog mir die Zeitschrift vom Gesicht, auf der ich gelegen hatte. Sicher hatte ich lauter Druckerschwärze auf der Stirn. Ich beugte mich vor, nahm Red den Kaffeebecher aus der Hand und trank einen großen Schluck.
    »Weißt du was?«, begann ich, aus dem Bedürfnis heraus, irgendwas zu sagen. »Ich glaube, wir spielen die falsche Musik. Ich bringe morgen eine CD von Westlife mit. Oder von Céline Dion. Die hasst sie nämlich.«
    Red grinste. »Wie wär’s mit Mariah Carey. Oder New Kids on the Block.

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