Roman
sein, weil …
»Und es ist ein ›Er‹.«
Neeeeiiiiiiin! Du liebe Güte! Gebrochene Herzen. Katastrophen aller Art. Postnatale Depression. Todesähnliche Erlebnisse. Wir hatten im Leben schon alles mitgemacht, aber jetzt hatten wir definitiv eine Seite im Freundschaftskrisenratgeber aufgeschlagen, die ich noch nicht kannte.
»Er ist schwul?«
»Ja.«
»Und du weißt es seit …?«
»Letzter Woche. Ich bin so verdammt blöd. Ich hab immer diese Berichte in den Zeitschriften gelesen, dass Frauen es tief in ihrem Innern ahnen, aber ich habe es nicht geahnt, Lou. Wirklich nicht. In den letzten Jahren war der Sex zwar nicht mehr so wie am Anfang, aber ich dachte, es läge bloß, na ja, an den Kindern und den Schwangerschaften und dem ganzen Stress und der Arbeit und vielleicht daran, dass ich zu viel an ihm herumnörgle und ihn zu sehr unter Druck setze.«
Ich drückte sie fest an mich, um zu verhindern, dass sie wieder völlig hysterisch wurde.
»Psssst! Pssssst! Pssssst! Es ist nicht deine Schuld. Es ist nicht deine Schuld.«
Alex Dunns. Er war Anwalt in einer Kanzlei an der High Street. Einmal im Monat kam er zum Waschen, Schneiden, Fönen. Nett. Süß. Witzig. Unübersehbar schwul. Immer für ein Schwätzchen zu haben.
Alex Dunns und Ben. Ein Paar. Unfassbar. Plötzlich kam mir ein neuer Gedanke. Ich löste mich von meiner Freundin und starrte auf ihren Schoß, als mir Teil zwei des Debakels wieder bewusst wurde.
»Oh verflucht! Nein. Nein. Nein. Das kann nicht sein.« Mir wurde klar, dass jemand in helfender Freundinposition so was nicht sagen sollte, also fügte ich schnell hinzu: »Aber wenn doch, kriegen wir das hin, Lizzy. Wir alle zusammen. Du musst damit nicht allein fertig werden. Hast du den Test schon gemacht?«
Sie nickte.
Kalte Angst packte mich.
»Ich hab nur noch nicht nachgeschaut. Ich traue mich einfach nicht.«
Ich traute mich auch nicht. Es war zu beängstigend. Die Aussicht auf das, was ihr bevorstand, war schon so schlimm genug, aber dabei auch noch schwanger zu sein, war wirklich unvorstellbar.
Mit einer mentalen Entschlossenheit, die ich nur meiner Freundin zuliebe aufbrachte, nahm ich ihr das Stäbchen aus den Fingern und drehte es um. Schweißperlen quollen mir aus allen Poren. Sie starrte in mein Gesicht und wartete auf eine Reaktion, die ihr sagte, was sie wissen musste.
»Lizzy, es ist …« Meine Stimme stockte und versagte fast völlig. »… negativ«, stieß ich schließlich hervor.
»Negativ?«, flüsterte sie. »Bist du sicher?«
Ich nickte und zeigte ihr das Stäbchen. Eine einzige blaue Linie. Definitiv. Auch nicht das leiseste Anzeichen einer zweiten.
Wir sanken beide vor Erleichterung zusammen. »Lou, es tut mir alles so leid«, stammelte sie.
»Wieso? Bist du verrückt geworden? Mir tut es leid, ich hatte ja keine Ahnung, dass mit dir was nicht stimmte.«
»Ich auch nicht. Er hat es mir erst letztes Wochenende gesagt. Aber ich wollte deine Hochzeit nicht damit belasten. Es tut mir so leid«, wiederholte sie. »Ich bin eine grottenschlechte Freundin.«
Ich riss ein Stück Klopapier ab und wischte ihr damit die Tränen und die schlimmsten Mascaraspuren ab. »Lizzy, du erlebst gerade die bisher schmerzhafteste Zeit deines Lebens, und du bist trotzdem mit hergekommen. Dafür liebe ich dich. Ich schwöre dir, du bist die beste Freundin, die man sich nur wünschen kann.«
Sie fing wieder an zu weinen, was mich dazu zwang, noch mehr Klopapier abzureißen.
»Aber sag das bloß Ginger nicht, sie glaubt, ich liebe sie mehr. Lass sie in dem Glauben! Ich weiß, das hört sich jetzt blöd an, aber wir stehen das gemeinsam durch, Lizzy. Ich schwöre es dir.«
Mit ungeheurer Willenskraft hievte Lizzy sich hoch und fiel mir um den Hals.
»Also gut. Aber du musst mir was versprechen. Ich will auf keinen Fall, dass im Moment irgendwer anders davon erfährt.«
»Das ist doch Unsinn, Lizzy. Wir sind deine Freunde und würden dir gern helfen.«
Eine Hand legte sich auf meinen Mund.
»Sei still, Lou! Ich habe ohnehin schon ein schlechtes Gewissen, dass ich dir das alles am Tag vor deiner Hochzeit vor die Füße gekippt habe. Mach es nicht noch schlimmer! Und das würde es, wenn ich plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit stünde. Ich brauche jetzt ein bisschen Spaß und will mich amüsieren, solange ich hier bin. Denn ich habe nicht die geringste Ahnung, was mich alles erwartet, wenn ich nach Hause zurückkomme. Also, bitte … Vergiss das, was gerade passiert ist, und
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