Roman
sogar.« Ich rolle mich vom Bauch auf die Seite. Dabei rutscht Shanes Hand von meiner Schulter. Schnell lege ich meine Hand über seine, damit er nicht denkt, ich wolle mich ihm entziehen. »Ist es dir schwergefallen, nicht zuzubeißen?«
Mit der freien Hand streicht er sich das feuchte Haar aus der Stirn. »Es gab außer Blut genug anderes, an das ich denken konnte.«
»Gibt es denn ein Vampir-Äquivalent zu – du weißt schon, wenn Männer nicht zum Höhepunkt kommen, ihre Befriedigung zurückhalten?«
Shane lacht. »Es heißt ›Durst leiden‹. Aber wie schon gesagt: Ich hatte bereits getrunken, ehe ich hierher zu dir gekommen bin.«
»Deine Fangzähne sind trotzdem rausgekommen.«
»Manchmal führen die ein Eigenleben, nichts zu machen.« Er fährt sich mit der Zunge über seine jetzt menschlichen Zähne. »Aber es ist für einen Vampir nicht schwieriger, jemanden nicht zu beißen, als für einen Mann, sich nicht gleich über eine Frau herzumachen. Ein anständiger Vampir sollte nicht einmal auf die Idee kommen.«
»Und du bist ein anständiger Vampir?«
»Ich bin sogar ein verflucht guter Vampir.« Er zieht mich in seine Arme. Ich lasse es zu, obwohl mir eigentlich viel zu heiß für eine enge Umarmung ist. Shanes Blick wird ernst. »David hat mir gesagt, du wärst fast umgebracht worden.«
»Wenn dieser PR Typ Ned Amberson nicht gewesen wäre, wäre ich jetzt tot – beziehungsweise untot. Ich verstehe nicht ganz, was er mit dem ›Gesamtbild‹ gemeint hat und was das wiederum mit mir zu tun hatte. Gideon jedenfalls meinte, ich würde es nicht wissen wollen.«
Shane umarmt mich fester. »Ich bringe den Kerl um, wenn ich ihn je zu fassen bekomme.«
»Hast du denn schon einmal einen Vampir sterben sehen?«
»Nein.«
»Das willst du auch nicht, glaub mir. Ich wünschte, ich könnte dieses Bild aus meinem Gedächtnis bekommen.« Mein Blick geht über Shanes Schulter hinweg hinüber zum Nachttisch. »He, das da könnte mir dabei eine echte Hilfe sein.«
Shane rollt sich auf den Rücken und greift nach der Flasche Rotwein, die auf dem Nachttisch steht. »Ich habe die Flasche mal mitgebracht, für den Fall, dass du ein bisschen Entspannung nötig hast.«
Ich seufze genüsslich. »Meine Arme und Beine sind ganz herrlich entspannt, Gelee sozusagen, dank dir; und das eine oder andere Glas Wein wird sicher den Rest besorgen.«
Shane küsst mich und verschwindet mit der Flasche in Richtung Küche. Es stellt sich heraus, dass sein Hintern mit und ohne Jeans gleich nett anzuschauen ist.
Ich robbe aus dem Bett, um eine neue CD einzulegen. Meine Wahl fällt auf Fiona Apple – gut um Shanes Horizont noch ein bisschen zu erweitern.
Während ich die Leonard-Cohen- CD wieder in die Hülle packe, kann ich dem Impuls nicht widerstehen und stelle die CD an die falsche Stelle ins Regal, hinter Counting Crows. Erst danach husche ich ins Badezimmer.
Ich komme zurück, und Shane liegt wieder auf dem Bett. Er starrt an die Decke, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Die Bettdecke hat er bis zur Taille hochgezogen. Die Lampe ist aus; dafür brennen auf beiden Seiten vom Bett Kerzen (Sandelholz-Duft, nicht Würstchenpizza). Rasch werfe ich im Näherkommen einen Blick ins CD -Regal.
Leonard Cohen steht wieder da, wo er hingehört, und zwar zwischen Chumbawamba und Coldplay. Scham und Reue bringen mich regelrecht ins Stolpern. Rasch schlüpfe ich unter die Decke. Am liebsten würde ich sie mir über den Kopf ziehen.
»Hast du das mit Absicht gemacht?«, fragt Shane, ohne mich anzusehen.
»Es tut mir leid.«
»Warum?«
»Warum es mir leidtut?«
Er schweigt einen Moment. »Gut. Damit fangen wir an und arbeiten uns dann langsam vor bis zu dem anderen Warum.«
»Ich sollte dich nicht testen. Du bist schließlich keine Laborratte.«
»Und warum hast du es getan?«
»Um herauszufinden, ob du dich verändert hast. Du hast so viele neue Sachen gelernt, und du siehst wieder hoffnungsvoll in die Zukunft.«
»Deinetwegen.« Jetzt sieht Shane mich an. »Aber man kann nicht alles über Nacht erreichen. Manches wird sich auch nie ändern. So funktioniert’s eben nicht.«
»Was funktioniert so nicht?«
»Geisteskrankheiten.«
Das Wort aus seinem Mund zu hören ist hart. Mir schießen Tränen in die Augen. »Sag das bitte nicht.«
»Aber es ist die Wahrheit. Ich weiß, dass viele Vampire unter Zwangsneurosen leiden. Die Welt verändert sich schneller, als wir begreifen können. Also suchen wir nach etwas, das wir
Weitere Kostenlose Bücher