Roman
kontrollieren können, einem Weg, die Dinge wieder zu ordnen.« Shane lacht leise. »Es ist der einzige Weg, sich gesund zu fühlen.«
Ich berühre seinen Arm. Im selben Moment aber zieht er den Arm weg. Er greift nach dem ersten Weinglas. »Tu das nicht, Ciara. Bemitleidet zu werden ist etwas, was ich absolut nicht ausstehen kann.«
»Und was sonst noch? Nur, damit ich es weiß.«
»Eine Liste werde ich dir jetzt nicht geben.« Er reicht mir das Weinglas. Ich setze mich auf und nehme es ihm ab. »Es gehört zu den Freuden einer jeden Beziehung, herauszufinden, was den anderen komplett in den Wahnsinn treibt.« Er nimmt sich auch ein Glas und stößt mit mir an. »Jetzt sag mir etwas, was du nicht ausstehen kannst, und wir sind quitt.«
»Lakritze.«
»Noch was.«
»Lakritze und Religion.«
»Religion? Weswegen? Wegen deinen Eltern?«
»Ja. Nein. Das klingt so, als ob sie für alles verantwortlich wären, was meine Person ausmacht. Ich habe viel über Glauben und Religion nachgedacht. In der Schule schon habe ich Religion als Hauptfach gehabt. Irgendwann bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass Religion nutzlos ist und gefährlich. Mir will nicht in den Kopf, warum die Menschen die Religion brauchen, um ihrem Leben einen Sinn zu geben. Ist das Leben selbst nicht genug?«
»Das fragst du allen Ernstes einen toten Kerl?«
Ich nehme einen Schluck Wein. »Das ist meine Meinung, nur meine – mehr nicht. Was ist mit dir? Ehe du zum Vampir wurdest, warst du da …«
»Ich war Katholik.«
»Oh.« Kurz überlege ich, ob das der richtige Moment ist, Shane nach seiner Geschichte zu fragen. »Aber als du Vampir wurdest, hast du quasi willentlich deinem Leben ein Ende gesetzt, oder nicht? Ist das nicht ein absolutes No-go für Katholiken – Selbstmord zu begehen?«
Shane sieht plötzlich sehr traurig aus. Ich fühle Bedauern wie einen Stich mitten ins Herz. Gleich, so kommt es mir vor, werde ich Elizabeths Schicksal teilen. Eingesogen von einem Loch wird sich mein Körper von Innen nach Außen stülpen, verzerrt und verdreht werden, bis er im Nichts verschwindet. »Du musst es nicht erzählen, wirklich nicht«, sage ich schnell. »Ich hätte nicht fragen sollen.«
»Doch, das darfst du und das sollst du auch.« Er legt seine Hand auf meine. »Und nein, ich muss nicht.«
Er nimmt ein paar Schlucke Wein. Ich warte darauf, dass er weiterredet. Nach einer Minute lehne ich mich gegen das Kopfteil des Bettes und trinke auch von meinem Wein. Ich warte. Nach gefühlten weiteren fünf Minuten geht mir auf, dass man geistig ziemlich unbewaffnet sein muss, wenn man mit einem Unsterblichen das Ich-kann-länger-warten-als-du-Spielchen spielt.
»Du musst was nicht?«
»Es erzählen.«
Shane sieht nicht so aus, als ob er sauer wäre. Aber er sieht auch nicht besonders entspannt und glücklich aus. Er sitzt einfach nur da und trinkt Wein, als ob ich gar nicht da wäre. Großartig. Erst mache ich ihn zur Laborratte für Gehirntests, und dann sage ich, er sei ein schlechter Katholik. Wie könnte ich ihn denn heute sonst noch vorführen?
Vielleicht wäre ein Themenwechsel nicht schlecht, um meinen momentanen Hang zu Fettnäpfchen zu brechen. »Hey, weißt du, worauf ich jetzt Lust hätte? Eiscreme!«
Wie erhofft, weckt Shane das aus seiner meditativen Erstarrung. Er schaut mich an, grinst schief und singt die erste Zeile von Mean Woman Blues.
Ich schlage die Hände vors Gesicht. »Ich hab’s vergessen – ich hab vergessen, dass du nichts mehr schmecken kannst. Schon gut, vergiss es einfach.«
»Schon passiert.« Er stellt das leere Weinglas auf den Nachttisch. »Du hattest einen schweren Tag. Dir steht eine große Portion Eis zu.«
Schweigend ziehen wir uns an, jeder auf seiner Seite des Bettes. Ebenso hätte eine Mauer zwischen uns sein können. Ich erinnere mich daran, wie ich mich Shane anvertraut habe, ihm erlaubt habe, mit mir und meinem Leben zu machen, wonach ihm der Sinn steht. Was muss ich tun, damit er mir ebenso vertraut?
Außer aufzuhören, mich wie ein echtes Arschloch aufzuführen.
»Mein Auto steht noch auf dem Parkplatz vom Sender. Wir werden also laufen müssen.« Ich durchsuche die Taschen meiner Jeans nach Kleingeld. »Und meine Handtasche liegt in Elizabeths Auto. Du wirst also das Eis zahlen müssen. Tut mir leid.«
Er blickt auf. Er sitzt gerade auf dem Bett und zieht sich die Schuhe an. »Komm her.«
Mit wiegenden Schritten gehe ich zu ihm. »Bestehst du auf einen Vorschuss?«
»Nein.« Er
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