Roman
wieder auf seinen Platz im Schrank und arrangiert die Röcke neu, um ihn wieder hinter der Kleidung zu verbergen.
Ich folge ihm und deute auf das Millimeterpapier, das er immer noch in der einen Hand hält. »Was hat das ganze Gekritzel darauf denn zu bedeuten?«
Er entfaltet den Bogen. »Es ist ein bisschen kompliziert. Aber jede Nummer der Kombination gehört zu einem Rädchen innerhalb des Schließmechanismus. Dieser Mechanismus hat drei davon. Nachdem ich die Kontaktpunkte gefunden habe …«
»Durch Lauschen, ja?«
»Genau. Ganz wie im Film.« Shane erklärt mir das Verfahren, zeigt mir die Kontaktpunkte auf dem Blatt Millimeterpapier. Ich verstehe nicht alle seine Erklärungen, aber immerhin bekomme ich drei Zahlen mit: zwölf, dreiundvierzig und einundsechzig. Shane streicht die ersten zwei Anordnungen aus, was vier übrig lässt.
»Faszinierend. Irgendwann musst du mir das richtig beibringen. Ich zeige dir dann, wie man einen klassischen Kleinbetrug einfädelt.« Ich gehe Elizabeths Kleiderschrank durch. »Die glauben nie, dass ich Elizabeth bin, wenn ich mein übliches Billigmarkt-Zeug trage.« Ich hole ein eisblaues Kostüm von der Stange und halte es vor mich. »Steht mir das?«
»Sehr gut sogar.« Shane nickt beifällig, als er sieht, wie kurz der Rock ist. »Was wird das nun? Diebstahl?«
»Ich leihe es mir für die Besprechung aus. Aber zuerst muss ich es anprobieren.«
»Ich spreche nicht von dem Kostüm.« Shane hält den Bogen Millimeterpapier hoch. »Ich kann dir die Kombination sagen oder den Safe auch gleich für dich öffnen, wenn du den Ring so unbedingt haben willst.«
Erwischt. Ich werfe Shane einen indignierten Blick zu. »Warum sollte ich den Ring stehlen? Ich bin eine Trickbetrügerin, keine Juwelendiebin.«
Er streift mit der Hand meinen Arm. »Ich hab’s begriffen, okay? Einen Betrug durchzuziehen gibt dir das Gefühl, lebendig zu sein, mehr als alles andere auf der Welt. Du fühlst dich stark, klug, überlegen.«
»Das stimmt n…«
»Wenn du wieder zurück in das Leben einer Trickbetrügerin willst – ich stehe dir nicht im Weg.« Er macht einen Schritt zurück. »Aber lüg mich nicht an, klar, Ciara? Spiel keine Spielchen mit mir. Nie, verstehst du?«
Er tritt aus dem begehbaren Schrank heraus und schließt die Tür hinter sich. Ich grübele über seine Worte nach, während ich mich ausziehe. Ich kann doch einen Betrug durchziehen und immer noch ein guter Mensch sein, oder? Ich ziehe die ganze Masche hier durch, gerade weil ich ein guter Mensch bin. Wie kann Shane es wagen, über mich zu urteilen, wo es sein Hintern ist, den ich hier zu retten versuche! Er braucht schließlich ein Zuhause; er braucht die Musik; er braucht ein Ziel im Leben.
Und David braucht dringend Urlaub. Das jedenfalls versuche ich mir einzureden, während ich den Safe öffne.
Nachdem ich mich umgezogen habe – tragischerweise bezieht sich das nicht auf mein Schuhwerk –, finde ich die Männer in Elizabeths Arbeitszimmer vor einer riesigen Wandkarte der Vereinigten Staaten von Amerika.
Shane sucht meinen Blick. »Und du denkst, ich wäre neben der Spur.«
Auf jedem Staat klebt eine Silbermünze. »Sie hat also Vierteldollar-Münzen gesammelt. Den Spaß machen sich viele.« Es macht mich traurig, dass Elizabeth nur bis Idaho gekommen ist, ehe sie gepfählt wurde.
David reicht mir ein Polaroid-Foto. Es ist eine Blitzlichtaufnahme bei Nacht von einem LKW der Firma U-Haul . Auf der Seitenverkleidung des LKW s sind unter der Aufschrift ›Kentucky‹ ein paar Rennpferde zu sehen. Unten auf dem breiteren weißen Rand des Polaroid-Fotos stehen feinsäuberlich mit Filzstift das Datum und der Ort der Sichtung.
Ich schaue hoch und sehe Reihen über Reihen Fotos, die U-Haul - LKW s mit den Symbolen der unterschiedlichen Staaten zeigen. Sie hängen alle an der Wand gleich neben der Karte.
»Okay, das ist wirklich neben der Spur.«
In diesem Augenblick klingelt es an der Tür. Mindestens eine geschlagene Sekunde lang gaffen wir uns alle mit offenem Mund an. Jeder von uns produziert vor Panik eine Nulllinie in seinem EKG – okay, nur die, die noch einen Herzschlag haben. Der Kater hat es eilig, aus Davids Armen zu springen und schießt den Flur hinunter.
»Die Waffen!« Barfuß wie ich bin, stürze ich ins Esszimmer. Das Klimpern von Schlüsseln ist von der anderen Seite der Tür zu hören. Ich packe die Sporttasche und reiße sie vom Tisch, gerade, als sich der Türknauf dreht.
Die Wohnungstür geht
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