Roman
Lanham übernimmt das Reden.
»Seit circa zwei Jahren ermittelt Ihr Vater für die Liga verdeckt in Gideons Refugium.« Lanham sitzt auf der Kante eines Sessels mit hoher Rückenlehne. Er sitzt kerzengerade da, als hätte er einen Besenstiel verschluckt oder balanciere Teller auf seinem Kopf. »Wir haben ihm bedingte Haftentlassung aus dem Bundesgefängnis im Austausch gegen Informationen und seine Hilfe bei diesem Einsatz angeboten.«
»Entweder das oder das Zeugenschutzprogramm.« Dad stößt mich mit dem Ellbogen an und zwinkert mir zu. »Das hier verspricht jedenfalls mehr Spaß zu machen, oder?«
»Was denn für Informationen?«, frage ich ihn.
Sein Lächeln verschwindet, stattdessen seufzt er tief auf. »Ich habe dir nie viel über deine Familie erzählt. Das geschah allein zu deinem Schutz. Hast du schon mal die Bezeichnung ›Traveller‹ gehört?«
»Das sind so was wie Zigeuner, richtig?«
Nachdrücklich schüttelt er den Kopf. »›Zigeuner‹ – so genannt zu werden, können die Traveller nicht ausstehen. In Irland, wo sie ursprünglich herkommen, nennt man sie Wandernde oder Reisende. Es sind Landfahrer, die hier in den Staaten im Süden und im Mittelwesten von Ort zu Ort ziehen und ihre Waren feilbieten.«
»Reisende, okay. Aber sie sind doch auch Gauner – oder etwa nicht?«
»Nein, die meisten nicht. Aber meine Familie gehörte zu den Besten der Besten.« Mein Vater schaut rasch zu Lanham hinüber, der die Stirn runzelt. »Zu den Schlimmsten, meine ich. Ich bin weg von meinen Leuten, als ich deine Mutter kennengelernt habe. Doch all die Jahre über habe ich Kontakt zu ihnen gehalten, habe ihnen Geld geschickt, wenn sie es brauchten. Die Bedingung war, dass sie dafür deine Mutter und dich in Ruhe ließen. Das haben sie auch gern getan – in ihren Augen seid ihr beide nämlich Außenseiter: Landvolk oder Sesshafte, wie sie es nennen würden.«
Während mein Vater spricht, bemerke ich Falten um Augen und Mund, die er vorher nicht hatte, und dass seine Hand zittert, wenn er mit ihr einen wichtigen Punkt seiner Ausführungen unterstreicht. Seine Haarfarbe ist nicht das Einzige, was sich in den letzten acht Jahren verändert hat. Aber nicht sein Stolz und sein großspuriges Gehabe – die sind, wie sie immer waren.
»Nun, egal«, fährt er fort, »ich wusste jedenfalls noch genug darüber, was meine Sippe so treibt und wo sie sich aufzuhalten pflegt. Daher war ich den Feds eine große Hilfe dabei, ihre Ermittlungen gegen sie wegen organisierter Kriminalität erfolgreich abzuschließen.«
Colonel Lanham räuspert sich. »Wir dachten, ein Auftrag wie dieser hier würde Ihren Vater reizen. Schließlich hat er so während seines Einsatzes Gelegenheit, in Ihrer Nähe zu sein und auch mit Ihnen Kontakt aufzunehmen.«
»Und da bin ich!« Dad breitet die Arme in einer für ihn typischen großen Geste aus und schnipst mit den Fingern, als ob er sich selbst aus dem Nichts herbeigezaubert hätte.
»Und was ist mit Mom?«, frage ich ihn.
»Was soll mit ihr sein?«
»Sie sitzt immer noch ein, ist doch so, oder?«
»Ja, natürlich. Ich habe sie immer vor dem Clan abgeschirmt. Also wusste sie auch nichts, was sie dem FBI hätte anbieten können.«
»Aber warum hast du sie nicht auch rausholen können? Warum ist sie nicht bei dir?«
Sein eines Auge zuckt. Er blickt zu Lanham hinüber. »Darüber reden wir später.«
»Hmm.« David, der gegen die Wand gelehnt dasteht, verschränkt die Arme vor der Brust. »Mister O’Riley, wie …«
»Bitte, nennen Sie mich Ronan.«
»Ronan. Wie sind Sie aus Gideons so genanntem Refugium herausgekommen?«
»Wir haben ihn herausgeholt«, erklärt Colonel Lanham. »Heute früh.«
Hitze schießt mir den Hals hoch ins Gesicht. »Wenn Sie ihn da rausholen konnten, warum nicht mich? Ich wäre fast umgebracht worden!«
Ohne den Kopf zu bewegen, gelingt es Lanham den Eindruck zu erwecken, er nicke. »Ihren Vater herauszuholen war eine von langer Hand geplante und gut vorbereitete Aktion. Im Handstreich jemanden zu befreien – was bei Ihnen nötig gewesen wäre – ist bei Kultgemeinschaften wie der von Gideon und seinen Anhängern immer riskant. So etwas kann eine Welle von Ermordungen oder Massenselbstmorden auslösen. Wir wollten kein zweites Waco auf unser Gewissen laden.«
Ich denke darüber nach. Es ist wirklich fraglich, was mit den ›Gästen‹ in Gideons Refugium, besonders den Kindern, passieren würde, wenn die Liga die Ranch stürmte.
»Für nähere
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