Roman
für verrückt halten. Es tut mir leid. Du musst denken: Was ist denn das für eine Verrückte, die mich mit Sachen vollquatscht, die mich nichts angehen?«
»Nein, nein!«
»Ich wollte einfach, dass du weißt – obwohl mir klar ist, dass du dich nicht wegen des Preises aufgeregt hast –, dass mir das alles wirklich nichts bedeutet. Ehrlich, es könnte mir nichts mehr egal sein. Die Arbeit ist mir schnuppe, ich möchte einfach nur ein Baby, eine Familie, glücklich sein. Das ist mein eigentliches Ziel. Verstehst du?«
»Ja, das verstehe ich«, antworte ich, und meine Augen füllen sich mit Tränen.
Und das tue ich tatsächlich. Rachel und ich haben das gemeinsam.
27
Jetzt, wo ich weiß, was ich weiß, will ich das alles keinen Moment mehr in die Länge ziehen. Es ist wie ein Tumor in mir, den ich unbedingt weghaben will. Toby war am Tag nach der Preisverleihung nicht auf der Arbeit und am Tag danach auch nicht. Irgendeine »schwere Erkältung«, hatte Shona gesagt. Ja klar. Mehr ein schwerer Kater. Neuigkeiten sprechen sich schnell herum, und alle im Büro wissen, dass Big Clive – der Geschäftsführer von SCD , der bei der Preisverleihung am Dienstag kurz aufgetaucht war – an dem Abend mit Toby eine Sauftour durch Soho gemacht hat, inklusive jeder Menge Drogen und einem Besuch in einer Striptease-Bar. Während seine Frau also allein zu Hause war und um den Verlust ihres Babys weinte, hat Toby zweifellos Kokain geschnupft und einer vollbusigen Blondine zugesehen, die zwischen seinen Beinen tanzte.
Nicht, dass ich das wirklich sicher wüsste, da mein einziger Kontakt zu ihm während der letzten achtundvierzig Stunden eine SMS war. Und da ich aus Fehlern der Vergangenheit gelernt habe – aus der Ich-liebe-dich-auch- SMS nach Brighton und mehreren anderen, inklusive der, in der ich schreiben wollte »Ich vermisse es, dich zu küssen«, aber so betrunken war, dass ich stattdessen geschrieben habe »Ich vermisse es, dich zu kicken«, was unter den gegebenen Umständen eigentlich passend war –, habe ich ihm nur eine sehr würdevolle Nachricht geschrieben, in der ich ihn bitte, mich heute hier, neben dem goldenen Buddha im Battersea Park, zu treffen.
Jedenfalls habe ich die Textnachrichten satt. Ich habe es satt, nicht richtig konzentriert zu sein, weil ich zu sehr damit beschäftigt bin, auf das Piep-Piep meines Telefons zu lauschen, das eine SMS von Toby ankündigt. Ich bin es leid, an ihn zu denken und mein Leben nicht leben zu können, weil ich in diesem Schwebezustand zwischen dem, was ich mir wünsche, und dem, was ist, feststecke. Ich bin es leid, mir ständig Gedanken über Rachel zu machen und sie gelegentlich zu hassen, wo sie doch eigentlich eine Frau ist, mit der ich gerne befreundet wäre.
Das bin nicht ich.
Es ist August. Die ersten Blätter an den Bäumen färben sich gelb, und der Fluss, der so lange bewegungslos war und dessen Ufer ausgetrocknet waren, fließt im frischen Spätsommerwind dahin. Ich sehe unter mich, auf den abschüssigen, kurz geschnittenen Rasen, der zu dem Weg führt, wo Paare Hand in Hand einen Abendspaziergang an der Themse entlang unternehmen, und frage mich, was ich falsch gemacht habe.
Bisher habe ich in meinem Leben alles, für das ich gearbeitet habe, auch bekommen. Meine mittlere Reife – sogar mit zehn Einsen. Was für ein cleveres Mädchen! Mein Abitur, meinen erstklassigen Uni-Abschluss und einen sehr guten Job in einer erstklassigen Firma. Aber Liebe? Liebe ist das einzig wirklich wichtige Ziel, und selbst wenn man viel Nachhilfe hat und viel darüber liest, wird man deshalb nicht gut darin. Man muss aus Erfahrungen lernen, das verstehe ich jetzt.
Ich habe so viel Zeit verschwendet. Zweiunddreißig bin ich jetzt, mehr als ein Drittel meines Lebens ist vorbei, und ich habe mich an Dinge geklammert, die falsch für mich waren, und nicht die Chancen ergriffen, die mich – wenn ich mutig gewesen wäre – wirklich glücklich hätten machen können.
Ich setze mich auf eine der Steinbänke vor der Statue, schiebe die Beine darunter und sehe noch mal auf mein Handy, um nachzusehen, ob Toby sich verspätet, aber nichts. Langsam frage ich mich, ob er schon weiß, was los ist. Ich frage mich, ob Rachel ihm erzählt hat, dass sie es mir erzählt hat.
Er ist jetzt zehn Minuten zu spät, aber es ist mir inzwischen egal. Ich liebe es, von hier aus London zu betrachten, über den breiten, funkelnden Fluss hinweg statt in den klaustrophobischen Straßen voller
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