Roman
gar keinen Fall. Ich würde vor Lust wahnsinnig werden.«
»Wirklich?«, frage ich mit mehr Hoffnung in der Stimme, als ich eigentlich wollte.
»Äh, ja. Überlegen wir mal.« Er runzelt die Stirn und blickt mit gespielter Konzentration zur Decke. »Erstens, mit wem sollte ich sonst diskutieren, ob Stolz und Vorurteil nicht tatsächlich der perfekte Roman ist?«
Dann kichert er auf diese ansteckende Schuljungenart, und ich küsse ihn auf den Mund.
»Wie sollte ich durch die Woche kommen, ohne etwas darüber zu hören, was für ein Genie – wie hieß noch mal dieser Japaner, den du so liebst?«
»Murakami.«
»Ja, genau der. Was für ein Genie er ist. Wohin kämen wir ohne einen weiteren Joanna-Trollope-Liebesroman?« Wir müssen beide lachen. »Scheiße, ich meine, ernsthaft!« Jetzt können wir uns beide kaum noch halten. »Das reicht doch, um einen in den Wahnsinn zu treiben. Und dann ist da noch dieser Houellebecq-Typ. Was haben wir über den gelacht.«
Er gibt seiner Stimme einen tiefen, wichtigtuerischen Klang. »Ich fand Elementarteilchen sehr nihilistisch.«
Ich vergrabe meinen Kopf an seiner Brust, und es schüttelt mich vor Lachen.
»Sei nicht gemein! Zumindest hat Charles das alles ernst genommen, im Gegensatz zu jemand anderem, den ich kenne.«
»Der nur dort war, weil er schwer hinter einem anderen Mitglied des Buchclubs her war? Einem Mitglied, das nicht nur einen ausgezeichneten Literaturgeschmack hat, sondern zufällig auch noch die geilsten Titten von ganz London.« Er drückt sie erneut, und wir knutschen wieder.
Ich schätze, so schaffe ich es, mir das alles im Kopf irgendwie zurechtzubiegen. (Was ich meistens nicht hinkriege, weil ich meine Zeit entweder damit verbringe, lächerlich aufgeregt zu sein bei dem Gedanken an den nächsten »Buchclub«, oder damit, mich wie eine schamlose Hure auf dem Weg in die Hölle zu fühlen.) Es gab mal einen richtigen Buchclub; irgendwann war das mal nicht gelogen. Der war Martas Idee gewesen. Marta ist die Büro-Märtyrerin, die zahllose, ungewürdigte Veranstaltungen organisiert, um das Arbeitsklima zu verbessern. Wir brauchten einen Treffpunkt, also stellte ich mein Haus zur Verfügung. Martin war zwei Monate zuvor ausgezogen, und mir gefiel die Idee, dass das Haus alle vierzehn Tage wieder voller Leben sein würde. Ich stellte mir vor, dass wir am Kaminfeuer sitzen, alten Merlot trinken und über die Art und Weise diskutieren würden, wie Soundso Personifizierungen benutzte und ob wir uns mit dem und dem Helden identifizieren konnten. Aber in Wirklichkeit sprachen wir zehn Minuten über das Buch, während wir kalifornischen Blossom-Hill-Wein tranken – und dann stritten wir uns.
Was eigentlich eine Veranstaltung sein sollte, bei der wir uns näherkamen, spaltete das Büro in zwei Lager. Es gab »uns«: mich, Toby, Shona und Charles vom Marketing (»die mit Universitätsabschluss«, wie Toby mit seinem typischen beißenden Humor kommentierte), und »die«: Marta, Heather vom Arbeitsschutz und Toupet-Dom (die »Proleten« – wieder Toby). Die Proleten fanden unsere Buchauswahl angeberisch. Wir fanden ihre lahm. Den Höhepunkt erreichte der Streit, als Toby meinte, dass Heathers Vorschlag – zugegebenermaßen war es Blumen der Nacht von Victoria Andrews – weniger literarische Qualitäten hätte als eine McDonald’s-Speisekarte, und sie in Tränen aufgelöst wegrannte.
Und so verließ einer nach dem anderen den Club, bis nur noch Toby und ich mit Büchern in der Hand in meinem Wohnzimmer saßen. Ich wusste sofort, dass das keine gute Idee war. Wir lasen Rastlose Nähe von Hanif Kureishi (mein Vorschlag), eine Erzählung, die in der Nacht spielt, bevor ein Mann seine Frau verlässt, die Aufzeichnung einer sich auflösenden Beziehung, darüber, wie man jemanden, den man seit zehn Jahren kennt, ansehen und nichts empfinden kann.
»Wie kann man mit jemandem zehn Jahre verheiratet sein und nichts empfinden?«, fragte ich. Wir saßen an meinem Esstisch. Ich hatte Kerzen angezündet – etwas, was ich nie gemacht hatte, als die anderen noch dabei waren.
»Oh, das ist möglich, glaub mir«, versicherte Toby mit hervorstechenden Augenbrauen, die hypnotischen blauen Augen auf mich gerichtet. »Und es muss nicht zehn Jahre dauern.«
Ich las eine Passage laut vor. Je betrunkener wir wurden, desto ernster nahmen wir es. Oder vielleicht lag es auch daran, dass wir durch das Gespräch über das Buch die wachsende sexuelle Anziehungskraft zwischen uns
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