Roman
und stelle den Fernseher an: irgendeine späte Dokumentation über ein Mädchen, das Blut geweint hat. Eine Stunde später erklingt eine kleinlaute Stimme in der Dunkelheit.
»Es tut mir leid.«
»Oh, dann lebst du also noch? Geht es dir besser?«
»Kopfschmerzen«, ist alles, was sie sagen kann. »Er hat mir ständig Island Cream Teas zu trinken gegeben.«
»Du meinst wohl: Long Island Iced Teas. Davon kommen die Kopfschmerzen. Und dieser spektakuläre Kotzschwall im Taxi, der bis an die Windschutzscheibe spritzte.«
»Neiiin!«
»Und zum Teil auf den Kopf des Fahrers.«
Sie bedeckt ihr Gesicht mit den Händen.
»Er war böse, oder? Tristan?« Sie verzieht das Gesicht.
»Oh, er war vermutlich kein Axtmörder, aber auch kein geeigneter Kandidat für eine Beziehung, drücken wir es mal so aus.«
»Es tut mir leid … Auch für alles, was ich, du weißt schon, gesagt haben könnte.«
»Schon gut, aber wirst du mir was versprechen? Triff dich nicht mehr mit fremden Männern, die du im Internet kennenlernst. Du hättest mich fast frühzeitig ins Grab gebracht.«
Es folgt eine lange Pause, bevor sie sagt: »Caroline?«
»Ja?«
»Kann ich dich was fragen?« Ich blicke auf und sehe ihr kleines, blasses Gesicht über der Decke. »Willst du mich hier haben?«
Ich schlucke. Meine Güte, war ich so abweisend?
»Natürlich will ich dich hier haben«, versichere ich. »Und außerdem haben wir beide keine Wahl, denn unser nutzloser Vater und deine nutzlose Mutter sind in das verdammte Atlanta abgehauen, deshalb sitzt du hier bei mir fest, Kleines.«
Sie lacht zaghaft.
»Ich bin irgendwie froh darüber«, sagt sie.
»Ja, ich auch.«
Und auf eine merkwürdige Art bin ich das, wirklich. Vielleicht ist es einfach schön, gebraucht zu werden. Und ich komme langsam auch der Sache näher, die Lexi Sorgen macht. Ich muss nur noch herausfinden, wer Arschgesicht Schwanzlutscher Wichser ist, ob es Clark ist und was genau er getan hat, und dann wird alles gut. Dann werden wir das Problem lösen.
Ich finde die Broschüre zufällig, zehn Minuten nachdem sie ins Bett gegangen ist.
Ihr Handy hatte geklingelt. Ich dachte, ich sollte besser nachsehen, wer da angerufen hatte, für den Fall, dass es Dad war. Ich wühle in ihrer Tasche zwischen Taschentüchern und Make-up, und dann zieht mein Magen sich zusammen. Alles ergibt plötzlich einen schrecklichen Sinn.
»Was du tun kannst, wenn du glaubst, schwanger zu sein« steht auf der Broschüre.
Wie konnte ich nur so dumm sein und nicht merken, dass sie nicht über Carly gesprochen hatte, sondern über sich selbst?
Langsam fange ich an zu glauben, dass ich mir vielleicht mehr vorgenommen habe, als ich bewältigen kann.
11
»Ich muss nicht die Details hören, wir müssen es bloß wissen, weil wir nur dann einen AP anfertigen können.«
»Was ist ein AP ?«, schreit Lexi, um den Verkehrslärm zu übertönen.
Ich laufe mit ihr über die Battersea Park Road auf eine Apotheke zu. Sie hat ihren Flohmarkt-Playsuit und Flipflops an und eine Blume im Haar. Sie sieht aus, als wolle sie zum Karneval.
»Ein Aktionsplan!«, brülle ich zurück. Es ist Martins Ausdruck – und einer, den ich sehr gerne benutze.
»Ein AP ist ein Werkzeug, Caro«, hat er immer zu mir gesagt, wenn die Angst mich überwältigte, »eine Methode, um alles unter Kontrolle zu behalten.«
Und ich fühle mich, als hätte ich alles unter Kontrolle, was komisch ist, wenn man das Katastrophenpotenzial dieses neuesten Dramas bedenkt.
»Wenn ich schwanger bin, lasse ich eine Abtreibung machen.«
Es ist helllichter Tag, neun Uhr morgens, und Lexi schreit mir das mit der gleichen Leichtigkeit entgegen wie: »Ich lasse mir Ohrlöcher stechen, ob dir das nun gefällt oder nicht!«
»Lass uns erst herausfinden, ob du es bist, ja?«
»Auf gar keinen Fall kriege ich mit siebzehn ein Kind. Ich bin doch selbst noch ein Kind.«
So viel steht fest.
»Jedenfalls hatte ein Mädchen an meiner Schule eine Abtreibung.«
»Die Arme«, rufe ich und laufe weiter.
»Nachmittags war sie schon wieder in der Schule. Sie meinte, sie habe eine Narkose bekommen. Sie hat gar nichts gespürt.«
»Körperlich ging es ihr vielleicht gut, aber ich bin sicher, dass sie emotional sehr aufgewühlt war.«
»Sie hat nicht geweint oder so. Wir dachten alle, sie wäre echt fertig. Aber …«
»Eine Abtreibung ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte, Lexi!« Sie geht mir jetzt auf die Nerven, deshalb bleibe ich stehen und
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