Roman
sehe sie an. »Es ist nichts, was man einfach so entscheidet, so wie man entscheidet, dass man sich Botox spritzen oder ein Tattoo stechen lässt.«
(Das Tattoo war nicht echt. Ich fand es am Donnerstagabend heraus, als sie sich auf meinem Sofa erholte und die Hälfte der Farbe – aufgeweicht vom Swimmingpool – meine strahlend weiße Decke verschmierte. »Ich glaub’s ja nicht, hast du echt gedacht, das wäre echt?«, fragte sie, und selbst in ihrem halb toten Zustand gelang ihr noch ein Kichern. Ich hätte sie schlagen können.)
Lexi sieht mich finster an, aber da ist wieder dieser Ausdruck in ihren Augen, hinter dem normalen Trotz, eine Art bodenlose Traurigkeit, so, als könne man sie niemals mehr erreichen.
»Ich lasse trotzdem eine Abtreibung machen«, beharrt sie.
»Wie kannst du das sagen? Solange du noch gar nicht weißt, ob es überhaupt so ist? Du musst das gründlich überdenken. Es gibt Berater, mit denen du reden musst …«
Sie bleibt stehen. Stampft mit dem Fuß auf wie ein trotziges Kind.
»Ich will kein verdammtes Baby, okay?« Ihre Wut scheint aus dem Nichts zu kommen. »Und ich will auf keinen Fall …« Sie zögert.
»Was?«
»Ich will nicht … Ach, verdammte Scheiße!«
Jetzt fängt sie an zu weinen. Große, ängstliche Schluchzer, und ich bin fast froh. Das ist zumindest normal.
»Auf gar keinen Fall könnte ich die ganze Nacht ein schreiendes Baby ertragen. Ich kann keine Windeln wechseln. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine Windel gewechselt. Ich würde alles falsch machen. Ich will nicht dick werden und nicht mehr mit meinen Freunden ausgehen können. Ich weiß, dass ich nicht intelligent bin. Nicht so wie du. Ich habe meinen Schulabschluss schon ruiniert, und ich werde nicht auf die Uni gehen. Aber es gibt Dinge, die ich kann, weißt du. Ich bin nicht völlig nutzlos.«
»Du bist überhaupt nicht nutzlos!« Es verstört mich, wenn sie so etwas sagt.
»Wayne meint, ich habe Potenzial, und es gibt eine Menge Dinge, die ich tun will. Ich habe Ideen …« Sie kann kaum sprechen vor lauter Schluchzen.
»Lex, natürlich hast du das.«
»Ich habe beschlossen, dass ich nach London ziehen will. Am zweiten Tag habe ich das beschlossen. Ich liebe es hier«, verrät sie, und ihre Augen brennen vor Enthusiasmus. »Ich möchte reisen, einen wirklich guten Job finden und es Mum und Dad zeigen, ich möchte, dass sie stolz auf mich sind. Ich will keine Teenager-Mutter sein, deren Leben mit siebzehn vorbei ist!«
»Und das wirst du auch nicht. Das meine ich nicht.«
»Warum sagst du dann, dass ich das Baby behalten soll? Wenn es ein Baby gibt, meine ich?«
Ein Paar aus Chelsea – sie mit Pashmina, er in einem gestreiften Hemd mit aufgestelltem Kragen – nähert sich mit einem Baby im Kinderwagen, und die Frau mustert Lexi von oben bis unten. Was glotzt du denn so?, will ich sagen. Hast du noch nie Leute um neun Uhr morgens mitten auf der Straße über eine Abtreibung diskutieren sehen?
»Oh, Lex, komm schon.« Ich gehe zu ihr und umarme sie, aber sie lässt die Arme steif an der Seite. »Ich sage nicht, dass du das Baby unbedingt bekommen sollst. Ich meine doch nur …«
»Aber ich habe das Gefühl, dass du mich verurteilst. Als würde mich die Tatsache, dass ich eine Abtreibung will, zu einem komischen oder schlechten Menschen machen. Frauen haben das Recht, selbst zu entscheiden, weißt du.«
»Natürlich haben sie das. Absolut.«
»Und nur weil du erwachsen bist und vernünftig und niemals so blöd gewesen wärst, überhaupt in so eine Situation zu kommen, nur weil ich ein Idiot bin …«
Sie hebt den Kopf, verschränkt die Arme und blickt in die andere Richtung auf die sanierten Häuser von Chelsea im diesigen Morgenlicht. Soll ich es ihr sagen? Lenke ich damit die Aufmerksamkeit zu sehr auf mich, wo es doch Lexis Krise ist? Aber ich möchte zumindest, dass sie weiß, dass ich sie verstehe, dass ich sie nicht verurteile, dass solche Dinge vorkommen – selbst bei »vernünftigen« großen Schwestern wie mir, deshalb sage ich: »Mir ist das auch passiert.«
Lexi schnieft. »Was?«
»Ich war schwanger.«
Sie lacht. »Ja, genau.«
»Das ist kein Witz. Ich war dreiundzwanzig, und es war Martins Baby. Die Pille hat versagt, es hatte was mit einem Antibiotikum zu tun. So etwas kommt vor. Du siehst also, ich baue auch Scheiße. Das mache ich sogar ständig.«
»Und was passierte dann? Hast du nicht mal darüber nachgedacht, das Baby zu behalten? Ich meine, du warst
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