Roman
dreiundzwanzig. Das ist nicht siebzehn, oder?«
Wir kommen an einem Café vorbei, vor dem einige Tische stehen. Ich höre entspannte Unterhaltungen und das Klappern von Tassen, die Geräusche des Wochenendes, und ich habe das Gefühl, das ich schon mal hatte: als würde ich mich selbst beobachten, als wäre vorher alles ruhig gewesen. Bevor Lexi aufgetaucht ist.
»Oh ja, wir haben darüber geredet. Drei Wochen lang. Es war schrecklich. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viel geweint.«
»Gott, musst du einen Schiss gehabt haben«, sagt sie auf die unnachahmliche Lexi-Art.
»Ich glaube, das trifft es ziemlich gut.«
»Und warum?« Sie schüttelt den Kopf, und man sieht ihr an, dass ihr die Frage auf der Seele brennt.
»Weil ich kein Baby wollte.« Ich zucke mit den Schultern. »Ich schätze, darauf läuft es hinaus. Es war die falsche Zeit, und ich war wie du, ich war ehrgeizig.«
»Ich bin nicht ehrgeizig.«
»Doch, das bist du«, erkläre ich, und sie sieht zu Boden. »Es gab damals so viel, was ich noch tun wollte. Ich war besessen von meiner Arbeit …«
»Du bist immer noch besessen von deiner Arbeit!«
»Das stimmt«, sage ich, und sie lächelt zaghaft.
Lexi kaut an ihrem Daumennagel. »Scheiße, jetzt fühle ich mich furchtbar.«
»Sei nicht albern, du musst dich nicht furchtbar fühlen. Nicht sonderlich.«
Sie lacht ein bisschen.
»Ich habe dir das nur erzählt, damit du weißt, dass ich mir vorstellen kann, wie es dir geht. Dass das alles kein Vortrag einer Gutmensch-Schwester ist. Außerdem habe ich auch mal frei. Und vielleicht hast du ja nicht so viel Pech wie ich. Du bist vielleicht gar nicht schwanger. Sollen wir also in den sauren Apfel beißen und es herausfinden?«
Sie boxt mich auf den Arm.
»Tun wir das«, sagt sie.
Als wir den Rest des Weges bis zur Apotheke laufen, wird mir klar, dass es das erste Mal war. Ich habe noch nie jemandem von der Abtreibung erzählt. Nicht, dass ich mich deswegen schäme oder es bereue, es ist nur so, dass ich mal schwanger war und das Kind nicht austragen wollte. Es gibt eigentlich keinen Grund, darüber zu sprechen.
Damit will ich nicht sagen, dass ich nicht mehr daran denke. Ich denke darüber nach, was gewesen wäre, wenn ich das Baby behalten hätte. War es ein Mädchen oder ein Junge? Es wäre jetzt neun Jahre alt! Vielleicht wären Martin und ich zusammengeblieben, wenn da ein Baby gewesen wäre, weil wir das gemusst hätten. Vielleicht wäre ich jetzt jemand ganz anderes, würde weniger vom Leben erwarten, zufriedener sein?
Ich habe diese wenigen Wochen vor meiner Entscheidung verdrängt – obwohl ich weiß, dass ich für mich die richtige Entscheidung getroffen habe.
Sobald ich es wusste, litt ich unter Morgenübelkeit. »Hey, das bedeutet, dass die Hormone stark sind«, sagte Martin aufgeregt, als ich stöhnend auf dem Badezimmerboden lag. »Du weißt schon, dass es bereits richtig einwirkt.« Das klang ein bisschen nach einer Haartönung, aber ich wusste, was er meinte.
Erst da wurde es mir klar – mein Gott, er wollte dieses Baby. Ich hatte noch nichts dazu gesagt. Ich war zu schockiert und hatte mich noch nicht festlegen wollen. Vielleicht ändern die Hormone meine Meinung ja noch, dachte ich plötzlich. Vielleicht vernichten die ja noch mein Bedürfnis, die Welt des Handseife-Verkaufs zu erobern (das war damals die Abteilung, in der ich arbeitete, und ich wollte unbedingt Janine beeindrucken und mich profilieren). Aber das taten die Hormone nicht, und vierzehn Tage später erklärte ich Martin, dass ich es nicht konnte.
»Es ist dein Körper, ich liebe dich, und ich stehe zu dir, wie auch immer du dich entscheidest«, versprach er, und ich weinte und weinte, weil ich wusste, wie schwer es ihm fiel, das zu sagen, und dass er mich tief in seinem Innern anschreien wollte: »Tu mir das nicht an!« Ich hatte so viel Glück. »Schließlich haben wir noch jede Menge Zeit«, fügte er hinzu. Aber ich befürchte, dass ich damals schon wusste, dass wir die nicht hatten, dass unsere Beziehung nicht halten würde. Vielleicht war das sogar der eigentliche Grund, warum ich es nicht konnte.
Wie dem auch sei, meine Entscheidung, das Kind nicht zu behalten, war der erste Sprung in unserer Beziehung, durch die später ein tiefer Riss verlief, der uns schließlich auseinanderbrachte.
Die Verkäuferin in der Apotheke ist eine große Afrikanerin mit beerenfarbenem Lippenstift und grauen Haaren. Wir tauschen ein wissendes Lächeln aus, als ich
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